Wo er da genau gelaufen ist? "Keine Ahnung, aber es war super", sagt Michael Raab und strahlt. Schließlich hätte sich der 44-jährige Münchner nicht erwartet, dass gleich sein erster Event in Wien so gut funktionieren würde: 37 Läuferinnen und Läufer sind, verglichen mit dem, was sich an einem schönen Samstagvormittag sonst auf Wiens Laufstrecken abspielt, genau gar nix. Das weiß auch Raab.

Aber dass sich diese 37 trotz relativ wenig Werbung doch - und obwohl doch jeder von ihnen ohnehin weiß wo und wie er durch die Gegend traben könnte - am Stadionparkplatz einfanden, "ist schon viel versprechend." Es zeigt, dass da Bedarf ist. Und dass da etwas wächst.

Raab hatte zum "Ersten Wiener Trail-Maniak Lauftreff" gerufen. Und gar nicht erwartet, dass jene hager-ausgezehrten Figuren auftauchen würden, die er von seinen eigenen Extrem-, Berg- und Landschaftsläufen kennt. Ganz im Gegenteil, erklärt der Finisher von (unter anderen) so namhaften Veranstaltungen wie dem "Marathon des Sables" (230 Kilometer) oder des Goretex-Transalp-Runs. "Viele Leute hören ,Trailrunning' - und haben sofort genau diese Bilder vor Augen. Und bekommen Angst." Dabei, so der Münchner, sei die nicht angebracht: "Es ist wie überall im Sport: Jeder kann es - wenn er es auf dem Level tut, das für ihn Spaß bedeutet."

Ängste schrumpfen

Und weil Ängste schrumpfen und der Spaß wächst, wenn man etwas gemeinsam tut ... und so weiter. "Eigentlich wollten wir zwei Gruppen machen, eine flotte und eine gemütliche. Aber dann wurden drei daraus: Zwei gemischte und eine Frauengruppe." Outdoor ist immer noch ein bubendominierter Spielplatz. Die oft unbewussten "Werhatdengrößeren"-Idiotien sind nicht gerade dazu angetan, mehr Frauen anzulocken.

Gelaufen wurde dann kreuz und quer durch den Prater. "Wir laufen immer mit  lokalen Guides. Ich kenne Wien ein bisserl - aber sogar die Wiener Läufer waren baff, welche Varianten und Vielfalt es da gleich neben ihrem gewohnten Asphaltstreifen gibt." Um Leistung ging es keine Sekunde, stattdessen um Spaß- und Erlebnisfaktoren. Und zwar gratis. Das, betont der Münchner, werde auch so bleiben: Der "Erste Trail Lauftreff" soll in Zukunft jeden zweiten Samstag um neun Uhr starten. Vom Praterstadion oder von anderswo - aber in jedem Fall für die Teilnehmer kostenlos.

Michael Raab ist kein Lauf-Samariter. Er weiß genau was er tut. Natürlich macht es ihm Spaß, zu sehen, dass andere mögen, was ihn begeistert. Aber dass hinter den Lauftreffs unter dem Signet des Säbelzahntigers auch handfeste kommerzielle Interessen stecken, stellt der Betriebswirt gar nicht in Abrede: "Die Lauftreffs sind die Einstiegsdroge", formuliert er bewusst provokant. Denn Trailrunning ist in der Welt der Jedermann-Läufer das "Next Big Thing" - und Markt kommt von Masse.

Dass die von den passionierten Gatschhupfern liebevoll-spöttisch "Weißschuhläufer" genannten Normaljogger fasziniert auf die verdreckt aus der Wildnis kommenden Kollegen schauen, ist ja nichts Neues. Das Phänomen gibt es beim Radfahren ebenso wie beim Skifahren. Doch ähnlich wie bei Ski und Bike hielt der Mangel an verfügbarer, wirklich guter und für den Durchschnittskonsumenten tauglicher, Hardware die Masse lange davon ab, die befestigten Wege zu verlassen.

Ob dann zuerst die Läufer die Wildnis oder die Industrie einen ungesättigten Markt entdeckten, ist egal: Fakt ist, dass sich nach Spezialisten längst auch die großen Bergsportlabels auf den Trend setzen. "Trailrunning wird ein Thema", verplapperte sich Mammut-CEO Rolf Schmid im Februar 2012 im STANDARD: Die Ankündigung, dass nun auch Mammut Trailrunning-Produkte ins Sortiment nimmt, hätte eigentlich erst ein paar Monate später publiziert werden sollen. Obwohl das niemanden überraschte: Dass Trailrunning auf der ISPO, der großen Sportfachmesse in München, zum allgemeinen Lauf-Megatrend ausgerufen werden würde, war absehbar.

"Einstiegsdroge" Lauftreff

Jetzt, ein Jahr später, geht die Saat auf: Trail-Events, Trail-Gruppen und Trail-Plattformen schießen aus dem Boden. Die Industrie hat Produkte - und muss sie bewerben. Und Michael Raab weiß, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, als er vor knapp einem Jahr bei einem Laufevent am Wörthersee den Kärntner Mario Schönherr kennen lernte - und mit ihm darüber philosophierte, dass es "viele Athleten, viele Unternehmen und viel Interesse in Tourismus und Laufszene gibt - aber keine Plattform, die da den Benefit eines Einzelevents perpetuiert und Synergien schafft." Der nächste Schritt war klar, und führte zu "Trail-Maniak", einer Marketing und Sales Plattform.

Und da sind die Lauftreffs etwa in Nürnberg, München und dem Allgäu tatsächlich nur die "Einstiegsdroge": Einmal "angezuckert" und in einer Community integriert, in der man "nicht mehr alleine läuft oder alleine zu Läufen reist" (Imagefolder), können sich Läuferinnen und Läufer bei Laufevents (unter anderem im Pitztal, im Val die Fiemme und im Schwarzwald) in der Gruppe und mit minimalem selbstorganisatorischem Aufwand auspowern. Oder gleich bei Trailrunningcamps (unter anderem Madeira, Mallorca, Wörthersee, Provence) ihre lauftechnischen Skills in Urlaubsambiente schärfen. Der Benefit für Hersteller, Regionen und Medien ist offensichtlich - und alle sind glücklich.

Freilich: Als reines Bussinessmodell will Raab seine Mission nicht verstanden wissen. Für ihn nimmt Trailrunning auch ein bisserl den (sinnlosen) Wettkampfdruck aus dem Hobbylaufen. "Das Gedrängel und Gerempel in den Startblöcken der Straßenläufe gibt es beim Trailrunning nicht: Man kann die Strecken und damit die Zeiten nämlich nicht eins zu eins miteinander vergleichen. Ob ich jetzt drei Plätze weiter vorne bin oder vier Minuten später im Ziel ankomme, ist vollkommen egal."

Außer man läuft wirklich um einen Stockerlplatz. Aber das ist eine andere Leistungs- und Zielgruppe: "Es geht ums Erleben. Um Landschaft und Ambiente: Wer nie stehen bleibt, um ein Foto zu machen, der versäumt etwas Wichtiges."

 

Trail-Maniak-Lauftreff Wien // Praterauen from stephan mantler on Vimeo.

 Dass das auch ohne den Säbelzahntiger-Überbau seines Unternehmens geht, weiß auch der Läufer Raab. "Das ist ja auch gut so: Laufen ist etwas, das jeder tun kann." Dennoch betont er: Der Sprung zur Massenbewegung birgt immer die Gefahr, dass die bei Elite und Early Adoptern obligate Etikette verloren geht.

"Das darf nicht passieren. Da geht es einerseits um Sicherheit: Man läuft außer in Gegenden wie dem Prater nicht ohne einen Rucksack, in dem Notproviant, eine Rettungsdecke und ein Erste-Hilfe-Set sind. Auch Stöcke bringen mehr, als sie wiegen. Und: Wie beim Wandern und Bergsteigen gilt: Respektiere Schutzzonen - und lass keinen Müll zurück. Bei Bewerben nimmt jeder seinen Trinkbecher mit - und auf die Riegel werden die Startnummern geschrieben: Fallenlassen führt zur Disqualifikation." (Text: Thomas Rottenberg, Fotos: trail-maniak.com/Michael Raab, derStandard.at, 26.6.2013)