Wien - "Das alte System wäre an die Wand gefahren": Josef Pühringer spricht von Rettung in höchster Not. Patient ist das österreichische Gesundheitssystem, dessen Kosten seit zwei Jahrzehnten weit stärker als die Wirtschaft wachsen. Schuld sind nicht nur Alterung und medizinischer Fortschritt, sondern auch eine ineffiziente "Zersplitterung wie sonst nirgends" (Pühringer). Die Länder sind für die Spitäler zuständig, die Sozialversicherungen für die niedergelassenen Ärzte - und stimmen sich viel zu oft nicht ab.
Oberösterreichs Landeshauptmann (ÖVP) zählt zu jener von Bund, Ländern und Sozialversicherung besetzten Reformgruppe, die Besserung einleiten soll. Jüngster Schritt: Ein neuer "Zielsteuerungsvertrag" legt fest, wie die Qualität gehoben und die Kosten gesenkt werden soll. Einen " Meilenstein" bejubelt Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ), zumal die Akteure der Gesundheitspolitik die Leistungen für die Patienten erstmals gemeinsam planten. Statt lauter "Solisten", ergänzt Pühringer, gäbe es nun ein Orchester mit Dirigenten.
Viele der angepeilten Maßnahmen zielen darauf ab, dass sich die Menschen künftig seltener in den teuren Spitälern behandeln lassen. Die Primärversorgung soll ebenso ausgebaut werden wie tagesklinische Angebote. In einem ersten Schritt sind in jedem Bundesland mindestens zwei ärztliche Gruppenpraxen einzurichten.
Bei einer Erstberatungsstelle sollen sich Patienten via Telefon oder Internet informieren, ob sie besser zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen sollen. Auch eine einheitliche Dokumentation soll beitragen, dass die Leistung dort erfolgt, wo sie am sinnvollsten ist.
Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien hält die festgelegten Ziele allesamt für klug. Eine ideale Reform hätte zwar die Gesundheitspolitik kompromisslos in eine Hand legen müssen, angesichts der österreichischen Realitäten sei der Versuch der gemeinsamen Steuerung aber "der gangbarste Weg". Als Krux sieht der Experte allerdings, dass nicht garantiert sei, dass all die hehren Vorhaben von den handelnden Akteuren umgesetzt würden.
Vorerst existieren die Reformen nur auf dem Papier. Bis Ende September müssen Länder und Kassen aber Landesverträge aushandeln, die konkreten Verbesserungen vor Ort festlegen. Doch was, wenn die Ziele nicht eingehalten werden? Sanktionen sieht der neue Vertrag keine vor.
Natürlich berge die Vereinbarung viele Konjunktive, räumt Pühringer ein, und Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely sagt: "Schwerer Kerker wird nicht angedroht." Trotzdem beteuern die Landespolitiker, dass die Verpflichtungen nicht einfach ignoriert werden könnten.
Anhand genauer Dokumentationen werde sich überprüfen lassen, wie ein Land wirtschafte, außerdem diktiere die Budgetlage den Zwang zur Reform: Im Stabilitätspakt haben sich die Länder zu einem Nulldefizit verpflichtet, die Gesundheitsausgaben sind ans Wirtschaftswachstum gekoppelt. In Zukunft dürfen die Kosten pro Jahr nicht stärker als im Ausmaß von 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wachsen. (Gerald John, DER STANDARD, 27.6.2013)