Fräulein Gong Er, die Wahrerin der "64 Fäuste": Zhang Ziyi in Wong Kar- wais Kung-Fu-Elegie "The Grandmaster".

Foto: Thimfilm

Wien - Das Wesentliche liege in der Reduktion, meint Meister Yip. Beim Kung-Fu entscheide sich letztlich alles zwischen Vertikale und Horizontale: "Du stehst, du fällst", alles andere sei nicht relevant. Der Film, in dem Yip Man eine zentrale Figur ist, schlägt gleich zu Beginn einen anderen Weg ein, um den chinesischen Kampfkünsten (Meister Yip praktiziert Wing Chun) seine Reverenz zu erweisen:

Regen perlt in dicken Schnüren auf ein nächtliches Straßenhalbdunkel. Eine ganze Armada von Kämpfern attackiert einen einzelnen Mann mit Hut. Der tritt, schlägt, pariert und dreht sich wendig. Am Ende dieser ebenso sicher choreografierten Bildkaskade hat Yip Man (Tony Leung Chiu Wai) eine Bewährungsprobe bestanden. Der Film wird der Lebensgeschichte des späteren Lehrers von Bruce Lee von 1936 bis Anfang der 50er-Jahre folgen. Sein Weg wird jenen von Gong Er (Zhang Yiyi) kreuzen, die ihrerseits ein Vermächtnis zu wahren hat. Die beiden werden einander kurz berühren und lange nicht vergessen können.

Wong Kar-wai, der sich mit As Tears Go By (1988), Chungking Express (1994) oder In The Mood for Love (2000) für immer auf der Weltkarte des Kinos platzierte, war zuletzt mit dem internationalen Starvehikel My Blueberry Nights (2007) ein bisschen glücklos. Mit The Grandmaster ist er auf sein angestammtes Terrain zurückgekehrt. Aber er kann auch diesmal nur bedingt überzeugen.

Fehlende Intensität

Aufwändige Erinnerungen an vergangene Epochen, eine fließende Erzählform, in der sich Momente in Zeitlupe genussvoll dehnen, während anderes sprunghaft gerafft wird, eine musikalische Sensibilität und eine generelle Neigung zum Melodram: All das ist charakteristisch für das Werk des demnächst 55-jährigen Regisseurs. Was seinem jüngsten Film jedoch fehlt, das ist jener höchste Grad an Intensität, mit dem man etwa den einander dauerhaft verfehlenden Liebenden durch In The Mood for Love folgte. (The Grandmaster funktioniert im Vergleich damit so, als wäre dieser Effekt damals alleine mit den lastenden Blicken auf die hohen Krägen von Maggie Cheungs Cheongsam-Kleidern erzielt worden.)

In der Geschichte von Gong Er und Yip Man liegt ein verwandtes melodramatisches Potenzial. Aber die Figuren bleiben vordergründig - manche, wie Yip Mans unglückliche Ehefrau, verschwinden ganz einfach wieder aus dem Film. Das schwarze Pelzkrägelchen oder die weiße Häkelblume im Haar von Fräulein Gong bleiben Oberflächenreiz. All die reichen Interieurs, die dekorativ drapierten Damen des Goldenen Pavillons, deren historische Akkuratesse eine Reihe von wissenschaftlichen Beratern im Abspann beglaubigt, fügen sich letztlich zu einem etwas leblosen Hochglanz-Bilderbogen.    (Isabella Reicher, DER STANDARD, 27.6.2013)