Przewalski-Pferd in der Mongolei, wo die beinahe ausgestorbenen Wildpferde wieder ausgesiedelt wurden.

Foto: Claudia Feh

London - Im Jahr 2003 wurde im Yukon Territory in Kanada der Knochen eines Pferdes ausgegraben, der im arktischen Permafrost die Zeiten überdauerte. Datiert wurden die Fragmente auf ein Alter zwischen 560.000 und 780.000 Jahren. Bei ersten Untersuchungen wurden eine ganze Reihe von Proteinen gefunden, auch solche, die im Blut vorkommen. Für das Forscherteam, geführt von Eske Willerslev und Ludovic Orlando von der Universität Kopenhagen, war das ein Hinweis, dass man in dem Fragment auch Ausschau nach DNA-Molekülen halten könnte.

Und tatsächlich: Das komplette Genom des Pferdes aus dem Mittelpleistozän konnte dank fortgeschrittener Sequenzierungstechnik analysiert werden, berichten die Wissenschafter im Fachjournal "Nature". Ein Rekord, der den bisherigen bei weitem übertrifft. Denn das bisher älteste sequenzierte Genom, das vor einigen Jahren für Aufregung sorgte, war jenes des Denisova-Menschen. Die Probe war etwa 80.000 Jahre alt.

Zum Vergleich sequenzierten Orlando und Kollegen auch das Erbgut eines Pferdes aus dem Jungpleistozän, das vor etwa 43.000 Jahren lebte, und jenes eines Przewalski-Pferdes (Equus ferus przewalskii), das als letzte wirkliche Wildpferdart gilt. Weitere Genomdaten kamen von fünf heutigen Zuchtrassen und einem Esel (Equus asinus), um auf Evolutions- und Populationsgeschichte der Gattung zurückzuschließen. Das Ergebnis: Der letzte gemeinsame Vorfahre, von dem alle gegenwärtigen Pferde, Zebras und Esel abstammen, lebte irgendwann vor 4,5 bis 4 Millionen Jahren. Bisherige Schätzungen gingen von der Hälfte dieser Zeispanne aus.

In den vergangenen zwei Millionen Jahren erlebte die Gattung Pferd eine wechselhafte Geschichte: Die Population fluktuierte stark, besonders in Zeiten starker Klimaveränderungen. Die frühen Pferde bevorzugten die Kälte, erklären die Forscher. Das ursprünglich in Zentralasien beheimatete Przewalski-Pferd ist, das konnte der DNA-Abgleich bestätigen, tatsächlich die letzte reine Wildpferdart, die bis heute überlebt hat. Und das Przewalski-Pferd ist auch der nächste lebende Verwandte des domestizierten Pferdes. Obwohl die wenigen letzten verbliebenen Exemplare in den vergangenen Jahrzehnten in Gefangenschaft weitergezüchtet wurden, habe sich eine hohe genetische Diversität erhalten, geht aus der Studie hervor. Zudem konnten die Forscher durch das Urpferdegenom Anhaltspunkte zur Evolution des Geruchssinns und des Immunsystems bei der Gattung finden.

Viele Experten bezweifelten bisher, dass Erbgutanalysen von derart alten Proben noch möglich seien. Die geglückte Erbgutanalyse des Pferdes stärkt aber nun Hoffnungen auf weiteres Genmaterial aus dem Mittelpleistozän mit neuen Einblicken in die Evolution - auch und vor allem der Gattung Homo.

Eine Sequenzierung des Heidelbergmenschen wäre in Reichweite, vielleicht auch der Homo erectus - wenn entsprechend gut konservierte Funde zur Verfügung stehen. Gemeinsam mit den bereits sequenzierten Genomen des Denisova-Menschen und des Neandertalers könnte das die Evolutionsgeschichte des Menschen beträchtlich erhellen. Es wird spekuliert, dass mehr als eine Million Jahre alte, vollständige Genom- Informationen rekonstruierbar sein könnten.

Was aber nicht einfach ist: Wenn ein Organismus stirbt, beginnt das Erbgut schnell in immer kleinere Teile zu zerfallen. Zuerst wird es von körpereigenen Enzymen aufgespalten, dann durch jene von Mikroorganismen. In einer sehr kalten Umgebung wie dem arktischen Permafrost geht dieser Prozess entsprechend langsamer vonstatten. Beim Denisova-Menschen seien von 100 extrahierten Molekülen 70 dem ursprünglichen Organismus zuschreibbar gewesen, so die Forscher. Bei dem 700.000 Jahre alten Pferdeknochen stammte lediglich eines aus 200 von dem Pferdevorfahren, der Rest stammte etwa von Bakterien, die die Probe bevölkerten. (pum/DER STANDARD, 27.6.2013)