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Verhältnisse im Strafvollzug "so gut wie nie zuvor": Justizministerin Beatrix Karl.

Foto: apa/Fohringer

In der Debatte über menschenrechtswidrige Zustände im Jugendstrafvollzug widerspricht die Volksanwaltschaft der Darstellung von Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP), wonach die Verhältnisse in den Justizanstalten "so gut wie nie" seien. Karl hatte im "ZiB2"-Interview am Mittwoch gemeint, es habe viele Verbesserungen im Strafvollzug gegeben.

Mahnende Stimmen aus dem Jugendstrafvollzug, wonach jugendliche Straftäter und U-Häftlinge viel zu lange eingeschlossen würden und dadurch vermehrt Gewalttätigkeiten ihrer Mitinsassen wehrlos ausgesetzt seien, wies Karl zurück. Den Fall eines 14-jährigen U-Häftlings, den seine Zellengenossen brutal vergewaltigten und misshandelten, bezeichnete Karl als Einzelfall. Auch die Volksanwaltschaft habe in ihrem letzten Bericht nichts von derartigen Missständen erwähnt.

Ministerium bestätigt Kritik

Das weist Volksanwältin Gertrude Brinek im derStandard.at-Gespräch zurück. Die Volksanwaltschaft habe in einer Stellungnahme im November deutlich auf Mängel im Strafvollzug hingewiesen: "Die enge Personaldecke, die Belagssituation, unzumutbare Einschlusszeiten und mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten - all diese Punkte haben wir beanstandet", so Brinek.

Das Justizministerium habe die Kritikpunkte daraufhin überprüft und sei zum selben Ergebnis gekommen wie die Volksanwaltschaft. "Das Ministerium hat noch im Mai unsere Wahrnehmung bestätigt, dass all diese Kritkpunkte zutreffen." Danach sei vereinbart worden, gemeinsam einen Maßnahmenkatalog zu erstellen, um die Praxis in den Justizanstalten zu verbessern. Dass die Justizministerin jetzt behaupte, nichts von den Mängeln zu wissen, "das kann ich nicht nachvollziehen", so Brinek.

"Wir nehmen die Mängel ernst", meint Karls Sprecher Sven Pöllauer gegenüber derStandard.at. Man kenne die Berichte der Volksanwaltschaft. Diese hätten bestätigt, dass "die Zustände im Jugendvollzug auf demselben Niveau sind wie im allgemeinen Strafvollzug". Und: "Dass wir einen hundertprozentigen Idealzustand haben, das wird nie sein."

"Die besten Gefängnisse"

Karl war im "ZiB2"-Interview zu gehäuften Misshandlungen im Jugendstrafvollzug befragt worden. "Strafvollzug ist nicht das Paradies", meinte Karl dazu, "aber gerade im Jugendstrafvollzug haben wir die besten Gefängnisse, die wir je hatten." Die Misshandlung des 14-Jährigen bezeichnete die Ministerin als bedauerlichen Einzelfall. Solche Fälle seien in einem Gefängnis eben nicht zu verhindern, da sei sie "keine Sozialromantikerin".

Karl wies auch auf die Schwere der Tat des 14-Jährigen hin. Dass der Jugendliche jedoch bereits aus der U-Haft entlassen wurde, ließ die Ministerin nicht gelten. Es sei zwar kein Strafverfahren mehr anhängig, das liege jedoch daran, dass dem Betroffenen "verminderte Reife" attestiert worden sei. Obwohl in U-Haft nur Menschen untergebracht werden, die noch kein Gerichtsverfahren hatten, also nicht verurteilt sind, meinte Karl: "Wir sprechen hier von Jugendlichen, die eine schwere Straftat begangen haben."

Eine Aussage, die bei Jugendrichterin Beate Matschnig im derStandard.at-Gespräch für Kopfschütteln sorgt: "Es gibt schließlich jede Menge Freisprüche. Für jeden Menschen in Österreich gilt die Unschuldsvermutung." Zudem sei es unrichtig, dass Untersuchungshaft nur in schweren Verdachtsfällen verhängt werde: "Es gibt einige, die nicht deshalb in U-Haft sind, weil ihnen eine schwere Straftat vorgeworfen wird, sondern weil sie keine Meldeadresse vorweisen können." 

Jugendrichterin: Karls Ausage "zynisch"

Dass die Verhältnisse im Jugendstrafvollzug besser seien denn je, weist Matschnig zurück. "Das ist einfach unrichtig." Zwar habe es auch im Jugendgerichtshof sanierungsbedürftige Zellen gegeben. Doch unterm Strich seien die Zustände dort deutlich besser gewesen als beispielsweise in der Vollzugsanstalt Wien-Josefstadt. Karl hatte im "ZiB"-Interview behauptet, im Jugendgerichtshof "waren die Hafträume kleiner, die Einschlusszeiten waren gleich und es gab viel weniger Fortbildungsmöglichkeiten". Das sei unwahr, sagt Matschnig: "Es stimmt zwar, dass die Räume kleiner waren. Aber die Jugendlichen waren dort den ganzen Tag draußen, die Zellen waren viel länger geöffnet. Fast alle Jugendlichen waren dort beschäftigt, es gab ja auch mehr Beamte."

Denn eben die dünne Personaldecke in den Gefängnissen sei der Grund, warum viele Jugendliche in Haft derzeit keine Ausbildung machen könnten. Es helfe nämlich nichts, wenn zwar Werkstätten vorhanden seien, aber keine Beamten zur Verfügung stünden, die die Häftlinge aus ihren Zellen abholen und zu den Werkstätten bringen, so Matschnig. "Von 20 Jugendlichen in der Josefstadt haben wir zwölf, die nicht beschäftigt sind. Das hat es im Jugendgerichtshof nie gegeben." Dazu kommt, dass laut Volksanwaltschafts-Bericht Werkstätten und Betriebe geschlossen wurden.

Karls Aussage, dass der Strafvollzug "kein Paradies" sei, bezeichnet Matschnig als zynisch: "Sehr viele Menschen in Österreich leben nicht im Paradies. Darum geht es auch gar nicht. Sondern: Wenn ich Menschen inhaftiere, bin ich dafür zuständig, dass sie angemessen versorgt werden."

Vollzugsdirektion: Josefstadt "nicht optimal"

"Wenn wir schon einsperren, dann müssen wir auch für bestmögliche Haftbedingungen sorgen", meint auch Christian Timm, Sprecher der Vollzugsdirektion, der Oberbehörde der österreichischen Justizanstalten. Angesichts der stark angestiegenen Haftzahlen bei gleich bleibendem Personalstand "darf es uns nicht wundern, dass das einen Unterschied macht".

Das Grundproblem liege darin, dass viel zu selten an Alternativen zur Haft gedacht werde. Stattdessen sperre man immer mehr Menschen ein - und beschwere sich danach über schlechte Haftbedingungen. "Bei uns gibt es keine Präventivmedizin, dafür schaut man, dass man nachher möglichst viel herauschneidet. Das kann es nicht sein", so Timm. Auch neue Justizanstalten seien nicht die Lösung: "Bevor man über bessere Haftbedingungen oder neue Gefängnisse diskutiert, sollte man sich fragen, warum es in Skandinavien viel weniger Menschen in Haft gibt als bei uns." In ganz Österreich gebe es nur zwei U-Häftlinge mit elektronischer Fußfessel. Das sei viel zu wenig, meint Timm.  

Auch Timm hält die Justizanstalt Josefstadt für "nicht optimal" für den Jugendvollzug. Organisationen mit derart hohen Insassenzahlen seien aber generell "nicht günstig", so Timm.

Ex-Jugendgerichtspräsident: Aussagen sind "ein Hohn"

Kritik an Karl äußerte auch Udo Jesionek, einst Präsident des 2003 aufgelösten Jugendgerichtshofs. "Wenn die Ministerin meint, dass heute alles besser sei denn je, dann ist das ein Hohn", sagt Jesionek zu derStandard.at.

Er habe in 21 Jahren am Jugendgericht "kein einziges Mal erlebt, dass es so einen Fall gegeben hat", so Jesionek über den aktuellen Misshandlungsfall. Der Grund liege im System: "Wenn ich drei gewalttätige Jugendliche in einer Zelle habe, und dann kommt ein Softie dazu, darf es niemanden wundern, dass das nicht gut gehen kann."

In Zweierzellen sei diese Gefahr weit geringer, so Jesionek. Der Jurist fordert Alternativen zur Unterbringung von Jugendlichen im regulären Strafvollzug - etwa betreute Wohngemeinschaften. "In der Schweiz gibt es da gut funktionierende Modelle. Das sind auch alles keine Sozialutopisten."

SozialarbeiterInnen über Karl: "Beschämende Stellungnahme"

Der Österreichische Berufsverband der SozialarbeiterInnen (OBDS) reagierte am Donnerstag mit einem offenen Brief an die Justizministerin. Karl habe im ORF "eine beschämende Stellungnahme abgegeben, die sich viele, die im Justizsystem arbeiten und von Ihnen vertreten wurden, nicht verdient haben", so der OBDS.

Karl selbst bemüht sich nach der Empörung über ihre Auftritte nun um mehr Kulanz. Laut Auskunft aus dem Ministerium hat die Ressortchefin dem 14-Jährigen einen bedauernden Brief geschrieben, mit der Empfehlung, bei der Republik Entschädigung zu beantragen. Laut Juristen hat der Bursche gute Chancen: Schließlich war er in staatlicher Obhut. (Maria Sterkl, derStandard.at, 27.6.2013)