Sie wollen das "verknöcherte und veränderungsresistente" System verändern und "leiseren" Menschen mehr Mitsprache ermöglichen. Zusammen mit anderen Twitter-Usern befragte daStandard.at den Piraten-Kandidaten Lukas Daniel Klausner zum Demokratieverständnis und den Zielen für die kommende Nationalratswahl. Das Interview fand, wo denn auch sonst, auf Twitter statt.
daStandard.at: Sie sind fast den ganzen Tag auf Social Media unterwegs und erreichbar. Ist das ihr persönlicher Lifestyle oder Piratendiktion?
Klausner: Hui, auf Social Media gesiezt zu werden ist sehr ungewohnt. Es ist bei mir persönliche Entscheidung - "Lifestyle" klingt etwas seltsam. Vierundzwanzig Stunden am Tag sieben Tage die Woche online bin ich aber auch nicht, ich lese nur ganz gerne die Meldungen der subjektiv wichtigen Leute auch nach Offline-Phasen nach.
daStandard.at: Man hat sie hier trotzdem einmal die "Retweet-Partei" (retweeten: Im Sozialen Netzwerk Twitter etwas zu Teilen, Anm.) genannt. Sind die Piraten die jüngsten und hipsten?
Klausner: Ich weiß nicht, ob "Hipster-Partei" in dem Zusammenhang ein positives Prädikat wäre. Aber ja, wir sprechen am meisten junge und internetaffine Leute an - schlicht deshalb, weil diese den grundlegenden Wandel in Gesellschaft und Politik viel eher wahrnehmen und als relevant empfinden; ich bin aber sehr zuversichtlich, dass dieses Verständnis in den kommenden Jahren zunehmend auch den Rest der Gesellschaft erreicht. Die Grünen haben ja auch ein bisschen gebraucht, bis sie die Seniorinnen erreicht haben. Und Alt-68erinnen und Technikerinnen der ersten Stunde haben wir ja auch einige bei den Piraten.
daStandard.at: Leser @DeinNickname sagt, Sie würden im Internet nur um Aufmerksamkeit heischen. Kann man über Social Media mobilisieren und aktivieren?
Klausner: Ich bin nicht auf Twitter, weil mich jemand dafür bezahlt oder weil ich muss, sondern weil ich Social Media mag und gerne, wenn es zusätzlich dazu beiträgt, die öffentliche Wahrnehmung der Piratenpartei verbessere. Wenn ich so Leute für uns interessieren kann, dann freut mich das natürlich. Gerade in einem so verknöcherten und veränderungsresistenten System wie derzeit finde ich Input von jungen Leuten, die noch alles niederreißen wollen, auch sehr wichtig.
daStandard.at: Wie stellen Sie sich den typischen Piratenwähler oder Piraten vor?
Klausner: Typische Piratenwählerinnen haben erkannt, dass die neuen Möglichkeiten, Medien und Technologien eine Veränderung in Arbeitswelt, Gesellschaft und Politik hervorgerufen haben bzw. hervorrufen werden. Und dass das die anderen politischen Parteien weder begreifen noch ausreichend darauf reagieren. Deshalb braucht es uns, ganz großspurig gesagt.
daStandard.at: Mitleser @NedadMemic fragt, ob man jungen Leuten heutzutage überhaupt vertraut oder vertrauen kann?
Klausner: Warum sollte man jüngeren Leuten weniger vertrauen als älteren? Die aktuelle Vertrauens- und Legitimationskrise der Politik haben ja nicht die Jüngeren verursacht.
daStandard.at: Wie viele Frauen gibt es derzeit in Piratenpartei in wichtigen Positionen? Probleme mit Gleichberechtigung werden den Piraten häufig nachgesagt.
Klausner: Das ist Salz in die offene Wunde. Es ist ein generelles Problem, dass Frauen, gesellschaftliche Minderheiten, etc. sich politisch weniger engagieren. Die Piratenpartei kommt noch dazu geschichtlich aus der Technik-Szene, in der es wiederum ebenfalls aus strukturellen Gründen viel zu wenige Frauen und Minderheitenangehörige gibt. Das multipliziert sich dann natürlich bei uns erst recht. Wir sehen das aber jedenfalls als Problem und tun unser Möglichstes, es zu verbessern – zum Beispiel sind auf der endgültigen Bundesliste zur Nationalratswahl 2013 drei Frauen unter den ersten neun. Uns ist aber auch klar, dass wir noch weit davon entfernt sind, wo wir hinwollen, aber ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Wir wollen das Diskursniveau verbessern und moderieren, um „leiseren“ Menschen mehr Mitsprache zu ermöglichen, Freiräume zur Vernetzung schaffen und aktiv auf unterrepräsentierte Gruppen zugehen sowie deren Feedback einholen.
daStandard.at: FPÖ wird wahrscheinlich einen Ausländerwahlkampf führen, SPÖ und ÖVP wohl einen zu Krisen und Umverteilung. Was sind für die Piraten die wichtigsten Wahlkampfthemen?
Klausner: Wir wollen in der Wahlkampagne auf drei Themenschwerpunkte setzen. Erstens: Politik geht besser - durch Transparenz und direkte Mitbestimmung. Weiters wollen wir Netzpolitik und Grundrechte thematisieren, beispielsweise den Überwachungsstaat verhindern und Privatsphäre schützen. Netzneutralität, vernünftige Drogenpolitik und modernes Urheberrecht statt Kriminalisierung sind hier auch wichtig. Drittens müssen Chancengleichheit und Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden - durch einen Mindestlohn und Steuerentlastung von Einkommen aus Arbeit.
daStandard.at: Spielt Ihnen die momentane PRISM-Affäre gerade thematisch in die Hände?
Klausner: Sicherlich, ja. Wir haben zum Beispiel das internationale AntiPRISM-Projekt angestoßen, an dem sich jetzt viele Piratenparteien aus aller Welt beteiligen. Snowdens Enthüllungen zeigen auf, wie weit wir schon in Richtung Überwachungsstaat unterwegs sind und führen hoffentlich vielen Menschen vor Augen, dass es dringend notwendig ist, jetzt etwas dagegen zu tun. Ob sich das auch in erhöhtem Zuspruch niederschlägt keine Ahnung, wir haben kein Geld für Umfragen.
daStandard.at: Eine weitere heiße Affäre ist die Causa Dönmez mit One-Way-Tickets für kriminelle Migranten. Was macht man mit Parteilinienausreißern?
Klausner: Bei uns ist das recht klar geregelt: Es gibt gemeinschaftlich und basisdemokratisch abgestimmte Programmpunkte. In der Außenvertretung und im Abstimmungsverhalten sind das die Inhalte, an die sich Piraten-Vertreterinnen halten sollten. Trotzdem hat natürlich auch jede ihre Privatmeinung. Das freie Mandat gilt ebenso. Aber wenn wir alle der Meinung sind, jemand tut mit ihren Äußerungen oder ihrem Verhalten der Piratenpartei nichts Gutes, gibt es in unseren Statuten die Möglichkeit des Misstrauensantrags zur Absetzung von Parteiorganmitgliedern und Mandatarinnen.
daStandard.at: Und wie stehen Sie inhaltlich dazu? User @BlackBertl meinte schon, von Seiten der Piraten gibt's wenig Informationen zur Migrationspolitik der Piraten.
Klausner: Wir unterscheiden Menschen nicht nach Geschlecht, Herkunft, Aussehen, sozialem Hintergrund, sexueller Orientierung oder politischen Ansichten. Menschen sind Menschen, Punkt. Wir wollen Teilhabe und Chancen für alle. Gerade der Umgang mit Asylwerbenden und Geflüchteten ist in Österreich immer noch katastrophal. Und dass immer noch am Konzept der Integration festgehalten wird statt Inklusion anzustreben, halten wir auch für verfehlt.
daStandard.at: Nennen Sie eine konkrete Maßnahme, mit der in Österreich hinsichtlich Inklusion Verbesserung erzielt werden könnte.
Klausner: Beim Sprachunterricht zum Beispiel machen wir derzeit so gut wie alles falsch. Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache müssen ihre eigene Muttersprache gut beherrschen, stattdessen wird ihnen verboten, sich darin zu unterhalten. Wir leben in einer Art "Zweiklassengesellschaft" mit guten (Englisch, Italienisch) und schlechten (Türkisch, Serbisch) Fremdsprachen. Unterricht in der Muttersprache ist zumindest bei Türkisch und Serbisch organisatorisch kein großes Problem, wenn man denn will.
daStandard.at: Welche Positionen vertreten Piraten hinsichtlich Staatsbürgerschaft?
Klausner: Wir halten den derzeitigen Zugang für verfehlt und hinderlich für Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe. Die Wartefrist für den Erhalt einer Staatsbürgerschaft ist zu hoch. Und "Leistung" als "gute Führung" anzurechnen ist ein ganz verquerer Gedanke. Mehr Modernität hinsichtlich Doppelstaatsbürgerschaften und eine automatische Staatsbürgerschaft für im Land geborene Kinder wären angebracht. Und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt höchst zuträglich. (Olja Alvir/Balázs Csekö, daStandard.at, 27.6.2013)