Unsere Republik teilt die Schwächen anderer Länder: Zur Mitentscheidung aufgerufen sind viele, denen es an Information fehlt. Politiker sind aus taktischen Gründen verleitet, nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Mangels Rückhalts dieser Politiker werden Entscheidungen spät oder falsch getroffen. Vor über einem Jahr verkündete eine Kommission von Medienstaatssekretär Josef Ostermayer (SP) eine rasche Änderung des ORF-Gesetzes. Herausgekommen ist nichts und wird vor den Wahlen nicht mehr. Die so Getäuschten sind es eigentlich nicht: Sie haben ohnedies nichts anderes erwartet. Daher einige Thesen zum ORF, die mir nach langer Erfahrung zur Überzeugung gereift sind.

Im Dunstkreis der Politik

Demokratie lebt von informierten und mündigen Bürgern und Bürgerinnen. Auf dem elektronischen Gebiet bedarf es daher Qualitätsmedien, wie wir sie im Printsektor vorfinden. Der öffentliche Rundfunk hat die Aufgabe, das anzubieten, weil es unter Marktbedingungen nicht ausreichend zu realisieren ist. Gefordert sind inhaltliche Standards (Information und Kultur) und Effizienz in der Herstellung. Das ist möglich:

1.) Der ORF ist nie dauerhaft aus dem Dunstkreis der Politik getreten. Stets wurden Generalintendanten und -direktoren, auch eine Direktorin war darunter, einem Lager zugezählt; Entpolitisierung ist eine Täuschung geblieben. Statt Politikern, die immerhin Durchsetzungskraft hatten, sitzen im Aufsichtgremium jetzt deren Abgesandte, noch unfreier. Glaubwürdiger, unabhängiger Rundfunk braucht aber qualifizierte Persönlichkeiten, denen man nach objektiven Kriterien unparteiische, am Auftrag orientierte Lösungen zutraut.

Natürlich muss der ORF ein öffentliches Unternehmen bleiben, daher muss die Letztverantwortung bei demokratisch legitimierten Organen liegen. Das kann der derzeitige Stiftungsrat sein, vermindert um die Personalvertreter. Seine einzige Aufgabe wäre, zehn "Kapitalvertreter" eines Aufsichtsrats zu bestellen. Dafür braucht es ein transparentes Verfahren: Ausschreibung, Veröffentlichung der Bewerbungen, Qualifikations- und Unvereinbarkeitsnormen, Entscheidungsbegründung und Bestellung der zehn mit qualifizierter Mehrheit. So kommt man zu einem pluralistischen Gremium, dem man Kompetenz zutrauen kann.

Der Aufsichtsrat übernimmt die Kompetenzen des derzeitigen Stiftungsrats und besteht aus den zehn Kapital- und fünf Personalvertretern. Es gibt keinen Grund, warum in einem Medium, das auf der Leistung seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beruht, die Drittelparität im Aufsichtsrat nicht gelebt werden sollte, die die Arbeitsverfassung vorsieht.

Schande für Qualitätsmedium

Zur Geschäftsführung bestellt der Aufsichtsrat einen Vorstand von vier Personen. Das ist glaubwürdiger als ein Alleingeschäftsführer, der stets einer Partei zugerechnet wurde. Auch ist Kollektivverantwortung übliche Praxis im Wirtschaftsleben: glaubwürdiger, pluralistischer, effizienter.

2.) Wenn sich der TV-Marktanteil des ORF im auf 30 Prozent zubewegt und diese Marke bald unterschreiten wird, ist die Programmentgeltfinanzierung nicht zu halten. Sie ist schon jetzt eine Kuriosität. Von den Zahlungen der "Teilnehmer" erhält der ORF rund zwei Drittel, der Rest geht an Bund und Länder. Wenn nach den zwei Dritteln für das Programm ein Drittel an den Staat geht, dann entspricht das einer Abgabenquote von 50 Prozent. Für ein Kulturgut, das dies doch sein sollte, eine unglaubliche Dimension! Das spricht für eine Finanzierung aus dem Budget, wobei sich die öffentlichen Kassen sicher über eine allgemeine Abgabe (Haushaltsabgabe) schadlos halten werden.

3.) Das Programmangebot des ORF wurde definiert, als es ihn als Monopolisten gab. Es besteht keine Notwendigkeit mehr anzubieten, was auf vielen anderen Kanälen auch zu sehen ist. Also reicht ein Kanal aus und kann ORF 1 entfallen. Dafür braucht es aber mehr Information am zweiten Kanal, denn eine Hauptnachrichtensendung, die "ZiB 1", von etwa 16 Minuten Dauer ist für ein Qualitätsmedium eine Schande. Ein Hauptkanal im Fernsehen reicht, flankiert von einem schon bestehenden Sportkanal und einem Info-/Kulturkanal, eben ORF 3.

4.) Ein öffentliches Angebot im elektronischen Sektor ist unverzichtbar, aber nur als Qualitätsprogramm, um objektive und detailreiche Information zu bringen und unsere kulturelle Identität zu repräsentieren. Ein solcher ORF hätte eine im umfassenden Sinn gemeinnützige Aufgabe, so wie der Erhalt des Symphonieorchesters, das der ORF nicht braucht, das aber zu unserem kulturellen Erbe gehört. Die Leitung (Aufsichtsrat und Vorstand) ist aus dem allzu direkten Zugriff der Politik zu lösen, im Interesse des Landes und seiner Kontinuität über Wahlen hinaus. (Wolfgang Buchner, DER STANDARD, 28.6.2013)