Severin Corti: Gut geht es Dänen

Der Abend legt sich über die Nordküste der ­dänischen Hauptinsel Seeland. Es war ein guter Tag. Die Buben sind zufrieden, weil sie beim Krabbenfischen wie stets die meisten der gierigen Krustentiere aus der klaren Ostsee geholt haben. Die Technik ist eines, der Köder das andere: Während der Jungwikinger gern mit klassisch rot-weißer Dänensalami ans Werk geht, schwört die Brut des Fressschreibers auf gut abgelegene Seezungenköpfe. Ha! Die Alten sind froh, weil die Langustinen, Seezungen, Steinbutte unverändert obszön billig sind, wenn man nur weiß, bei welchem Fischerboot sie zu erstehen sind - und wann es am späteren Vormittag einläuft.

Dazwischen war Zeit für Schwimmen und Picknick in einer Düne am endlos langen, sanft geschwungenen Sandstrand: mit Räucherfisch aus jener Räucherei, die Arne Jacobsen in den 1940ern an eine Klippe stellte, mit fantastischem Roggenbrot aus einer der herrlichen Bäckereien, mit weltbester Salzbutter und unglaublichen Sommererd­beeren, wie sie nur in zaghaft nördlicher Sonne über viele Monate heranreifen können (und zwar erst spät im Juli!). Wenn die Sonne gar nicht scheint, wird mit dem Wind gespielt: Besseres Drachensteigen ist nirgends. Und die Qualitäten des dänischen Fernsehprogramms sind überhaupt eine eigene Geschichte.

Christoph Winder: Immer in den Süden

Die Familie auf diesem Foto ist die Familie W. Es handelt sich um ein klassisches Urlaubsfoto, und wahrscheinlich, so genau lässt sich das nicht mehr sagen, hat sich Familie W. kurz ­zuvor einen südfranzösischen Passanten geangelt und ihn gebeten, sie vor dieser pittoresken Hafenlandschaft an der Côte d'Azur abzulichten. Im Hintergrund wiegen sich die Segelschiffe, den nicht ganz so hübschen Container hinter dem Gitter links im Bild übersehen wir einfach, im Vordergrund hat sich Familie W. entspannt in Position gebracht. Und jetzt: ­Bitte recht freundlich!

Alles blickt zuversichtlich in die Kamera. Selbst die Kinder sind aufgeräumter, wenn auch nicht enthusiastischer Laune, weil sie schon dem Alter entwachsen sind, in dem man noch ohne Vorbehalte mit den Eltern auf Urlaub fährt. Familie W., vor allem Frau W., zieht es im Sommer immer in den Süden, sie zählen nicht zu diesen Nordlichtern, die auf wolkenverhangene Fjorde und Nieselregen stehen. Nein, der Süden muss es sein, entweder Frankreich oder Spanien oder Italien, vielleicht auch Korfu oder die Türkei, der Süden mit allem was dazugehört, dem Meer, den Sandstränden, den bunten Handtüchern, den Eisverkäufern, dem Geruch der Pinien und der Sonnencreme. Schule und Arbeit sind weit, weit weg, dafür ist das Glas Wein oder der kleine Espresso in einem Café auf einem Platz, der von der Sonne brennheiß beschienen wird, ganz nahe.

Das Urlaubsfoto von Familie W. ist ein historisches Foto, weil Familie W. heute, ungeachtet ihres familiären Zusammenhaltes, in anderen Konstellationen auf Urlaub fährt als damals, in der klassischen Besetzung, wie wir sie auf dieser Fotografie sehen. Die Zeiten ändern sich eben. Aber: Schön war’s, damals vor dem Segelhafen in Südfrankreich.

Karin Bauer: An der Alten Donau

Nicht dass wir nicht auch im All-in-Club in der Türkei gewesen wären in den Vorschuljahren mit den Zwillingen, weil es für die elterlichen Erschöpfungszustände heilsam war, bedient zu werden. Keine Wettersorgen, Nachschub immer da für alle Fälle. Kinderbetreuung auf Wunsch, Cocktail serviert an den Pool. Seit der Schule bedienen wir uns aber selbst, und zwar an der Alten Donau in Wien. Dabei wollen wir auch bleiben, alle vier und der Hund. Herr­liches Naturwasser, Riesenkarpfen, bissige Hechte. Slacklines von Steg zu Steg, in der Früh mit dem Biber um die Wette paddeln. Hinter den Hochhäusern liegt die Innenstadt, wir sind nah und trotzdem fern.

Den zwingenden Wunsch nach wochenlangem Sonnenschein haben wir gar nicht mehr. Die Alte Donau bleibt auch an Regentagen warm genug, und in die benachbarte Lobau durch den Gatsch zu radeln finden wir fast so lustig wie der Hund. ­Anfangs war es für die gut verkabelten Kids gewöhnungsbedürftig, diese Art der verordneten Langeweile zu genießen und ganze Zoos aus Papiermaché zu formen und aus Specksteinen Würfel, Kugeln, Herzen zu schleifen. Aber: So eine Schlechtwetterperiode hat was, zum Beispiel dass sich junge Herren einem Kochkurs unterziehen. Entschleunigung kann auch in der Pubertät happy machen. Hurra.

Ronald Pohl: Kulturland Norditalien

Als Urlaubsdestination für zwei ruhesuchende Erwachsene und zwei kleine Mädchen hat sich Italien bestens bewährt. Genauer gesagt: die norditalienische Universitätsstadt Padua, die mit ihren verwinkelten Gässchen und spiegelglatten Trittsteinen zum Träumen und Verweilen einlädt. Die Begeisterung hat Gründe. Wie allgemein bekannt ist, gehört die fruchtbare Kulturlandschaft Venetiens zu den Regen­löchern in Zentraleuropa. Reist man daher in den ersten Frühlingstagen nach Padua, tut man dies bestimmt nicht, um die Zitronenblüte zu genießen. Im Gegenteil: Düst das Familienvehikel mit knatternden Scheibenwischern an Mestre vorüber, wirft man unwillkürlich Blicke nach links, dorthin also, wo man vermutet, dass das Meer liegt.

Ist die Adria etwa schon über die Ufer getreten? Muss man Venedig an die Lagune verlorengeben? Das Regenwasser beleckt den "Autogrill". Der Regen hüllt die Zypressen in Gischtfontänen. In Bächen sprudelt das Wasser quer über den Asphalt. Endlich kommt Padua in Sicht. Die Häuser stehen verdrossen wie Kühe dicht aneinandergedrängt im Regen. Und jetzt kommt dasjenige Element zum Tragen, das Padua zum idealen Urlaubsort für alle Familien mit kleinen, nervlich wenig belastbaren Kindern macht: Die Gehwege in der malerischen Altstadt sind fast zu hundert Prozent gedeckt. Das alte Padua besteht, dem Hochmittelalter sei Dank, aus lauter Arkaden.

Jetzt können einen die gefürchteten italienischen Sintfluten  so etwas von gern haben. Den Kinderwagen auseinandergeklappt, die Jüngste hineingesetzt: Schon geht es los über holpernde Steine. Der Kopf ist im Trockenen. Der Kinderwagen schlittert fröhlich über das nasse Pflaster. Allmählich kann man sich sogar nach einer Eis­kugel samt Stanitzel für die Ältere umschauen. Das Gelato bleibt trocken! Einem gelungenen Urlaub steht nichts mehr im Wege.

Christian Hackl: Reif für die Insel

Es heißt, dass nur ausgewiesene Volldeppen im Sommer auf Mallorca urlauben. Mag sein, aber die drei Hackls (Frau, Kind, Herr) treten seit Jahren den Gegenbeweis an. Okay, sie sind leicht schrullig, zum Beispiel hat Herr Hackl das Meer lieber von außen (schaut echt schön aus) als von innen (zu salzig, zu viele Tiere drinnen). Aber deppert sind sie nicht, sie haben Geist und einen beeindruckenden Geschmack. Ad Mallorca: Man muss die Liegen nicht mit Handtüchern reservieren, man muss Sangria nicht aus dem Kübel saufen, man muss kein Konzert von Jürgen Drews, dem König vom Ballermann, erleiden. In London ist es ja auch nicht verpflichtend, die Queen anzuschauen.

Der Vergleich hinkt natürlich, im Gegensatz zu Drews ist Elizabeth unnahbar, sie singt nicht jeden Abend auf Biertischen. Die Hackls hausten ursprünglich in einer Finca im Landesinneren, da sie aber keine Hauben­köche sind und nicht immer mit dem Leihauto deppert in eine Bucht fahren wollten, kam es zum Sinneswandel. Also doch Hotel im Landesäußeren, auch Küste genannt. Sie wurden fündig in einem Naturschutzgebiet nahe Alcúdia, wobei ihnen klar ist, dass sich Naturschutz­gebiet und Hotel so vertragen wie Elizabeth und Biertisch. Auf ein Leihauto legen sie trotzdem Wert, die Hackls sind nicht gerne angeschraubt. Der Sohn (er will Immobilienmakler auf Mallorca werden) surft, schwimmt, taucht. Eine Gokartbahn ist zehn Kilometer entfernt, da kann der Papa Geld ausgeben. Dass ein Drews-Konzert so viel kostet wie acht Minuten Gokartfahren, darüber denkt Herr Hackl im Urlaub nicht nach.

Christoph Prantner: Sardische Winde

Zwei Stunden sind die oberste Grenze - für Flugbegleiterinnen, Mitpassagiere und gemäßigt nervenstarke Erziehungsberechtigte. In diesem Zeitraum kann man davon ausgehen, dass es zu keinen Vorfällen kommt, die unschön sind und/oder Geld kosten. Denn die zwei Bürschchen sind damit beschäftigt, aus dem Fenster zu schauen, über die Geschenke der Fluglinie herzufallen und Saft zu bestellen. Ist dieses Programm durch, hat der Pilot schon lange den Sinkflug in Richtung Cagliari ein­geleitet. Danach ist es nur noch ein Katzensprung bis ans Capo Spartivento.

Dort teilen sich nicht nur die sardischen Winde, sondern auch die Geschmäcker: Diejenigen, die eher nicht an der Gesellschaft russischer Oligarchen oder dampfender italienischer Expremiers  interessiert sind, meiden die Costa Smeralda und fahren hierher. Die Buben werden in dieser Woche den quasikaribischen Strand der Länge nach umgraben. Sie werden an den rostroten Felszungen entlangschnorcheln, mit dem Motorboot über das türkise Meer schippern und ausgiebig dem Gelati-Sortiment von Motta zusprechen. Mama und Papa finden inzwischen, wenn sie Glück haben, ein wenig Frieden und eine gesunde Gesichtsfarbe. Und der Friede, der wird bis Wien anhalten, denn retour sind es - zwei Stunden.

Mia Eidlhuber: Sommer am See

Natürlich hat das mit der eigenen Kindheit zu tun und mit der Erinnerung an endlos lange Sommerwochen am Attersee, in denen die Tage besonders für uns Kinder fließend ineinander übergingen. Und fließend hatte da auch viel oder, besser gesagt, ausschließlich mit Wasser zu tun. Das Wasser unten am See, immer wieder anders, leuchtend blau an strahlenden Hochsommertagen, gekräuselt türkis, wenn Wind mit ins Spiel kam oder gespenstisch still, bevor der große Regen kam. Und der kam immer, das Wasser von oben.

Die Kindheitssommer im Salzkammergut waren dennoch unvergesslich, weil ihnen auch der Regen nichts anhaben konnte (trotz und vielleicht gerade wegen konsequenter Absenz elektronischer Unterhaltungsmittel). Nass waren wir immer, egal ob an Sonnentagen am See, stets im Wasser, um die Wette schwimmend, schnorchelnd, köpfelnd, auf ausrangierten Surfbrettern balancierend oder rangelnd in Ruderbooten, oder an Schnürlregen­tagen in Gummistiefeln im matschigen Wald unterwegs, in Pfützen herumhüpfend oder kreischend unter dem Getöse des Wasserschwalls tanzend, der aus der alten Regenrinne herunterschoss.

Beim eigenen Kind holt einen die eigene Kindheit immer ein, und im Glücksfall will man für das eigene Kind die eigene Kindheit sogar zurückholen. Der Attersee ist bei diesem Ansinnen ein verlässlicher Partner, noch immer strahlend blau an Sonnentagen und manchmal wochenlang verregnet. Das mit dem ausrangierten Surfbrett funktioniert schon einmal ganz gut. An keiner Elektronik arbeiten wir noch.

Andrea Schurian: Einfach ein Bootshaus

Eh schön. Punkt Ferienbeginn verwandelt sich Österreich in eine einzige Open-Air-Bühne. Auf Burgen, in Schlössern und Klöstern, hinter jedem Kuhstall, vor jedem Heuschober eine Sommer-, auf jedem Teich eine Seebühne. Mittendrin Salzburg, Festung hohen Kunstgeschmacks. Mutter aller Festspiele. Nabel der Welt, wo werktätige Kulturjournalistinnen zwischen all den Prada-Fendi-Gucci-Trutschis nach großartiger Kunst und wunderbaren Künstlern Ausschau halten. Das ist kein Nine-to-five-Bürojob, aber trotzdem kein Urlaub. Weil eigentlich.

Eigentlich gehöre ich - und mittlerweile auch meine pubertierenden Kinder - der vom Aussterben bedrohten Neigungsgruppe der stationären Sommerfrische an. Das klingt bei der Ferienplanung dann so: Um Gottes willen, Mutter, ja keine Städtereisen, keine faden Autofahrten an die umliegenden Meere, keine Flüge in die weite Welt. Sondern: Anfang Juli iPod, Notebook, Spiele, Freunde der Kinder sowie ausreichend Lesestoff von Wien in ein Bootshaus an einem Kärntner See übersiedeln.

Und sich bis Ende August nur in äußersten Notfällen - etwa zum Nachschub von Zeitungen, Milch, Brot, Sonnen- und Eiscremes - von der idyllischen Stelle rühren. Vom Frühstück bis zum Abendessen in Badekleidung. Zuschauen, wenn eigene und geborgte Kinder, Cousins, Cousinen Salti vom Sprungbrett vollführen, ­fischen, tauchen, schwimmen, wuzeln, Tischtennis und Fuß- und Federball spielen. Wenn die Schwäne schnäbeln, die Enten schnattern.

Und man freut sich am Leben, wenn abends der Mond seine blassgelbe Kugel in den ruhigen See hängt. Dramatische Inszenierung. Kitschig? Prächtig! Sommerfrische eben. Mein Mann schaut wieder. Und wir sehen uns dann in Salzburg. Auch schön. (Family, DER STANDARD, 28.6.2013)