Die eigene Geschichte rekapitulieren als von den Kindern geliebtes Familienritual: Hier ist der Alltag in Jaime Rosales' Drama "Sueño y silencio" noch intakt.

Foto: Stadtkino

Arbeitet mit Laien und gerne analog: Jaime Rosales.

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Paris/Wien - Oriol und Yolanda haben sich mit ihren beiden Töchtern in Paris niedergelassen. Ihr Leben verläuft unspektakulär, in friedlichen Bahnen - bis sich während einer Reise ein Unfall ereignet. Der spanische Filmemacher Jaime Rosales erzählt in seinem Spielfilm "Sueño y silencio - Träumen und Schweigen" von den Konsequenzen dieses Ereignisses. Diese zeigen sich weniger in großen dramatischen Gesten - Rosales findet in seiner ebenso schlichten wie eindringlichen Filmerzählung vor allem einen atmosphärisch dichten Ausdruck für das Überschießen der Emotionen, das die Figuren nicht aussprechen und nur schwer teilen können.

STANDARD: Wie entwickeln Sie einen Film? Man merkt "Sueño y silencio" etwa an, dass die Schauplätze genau "gecastet" wurden.

Rosales: Es ist generell schwierig, über Filme zu sprechen, weil häufig das Vokabular dafür fehlt. Aber die Locations sind mir genauso wichtig wie die richtige Besetzung. Filmen heißt ja, Zeit in einem Raum festzuhalten - das ist eine meiner Hauptarbeiten als Regisseur.

STANDARD: Werden Sie auch von Orten auf Ideen gebracht?

Rosales: Es kommt darauf an, ob es um Schauplätze im Freien oder um Innenräume geht. Letztere müssen erlauben, dass man von einem Zimmer in ein anderes filmen kann. Es braucht Türen, Fenster, Flure, Durchblicke. Beim Filmen geht es im Grunde darum, die richtige Distanz zu einem Geschehen zu finden. Manchmal möchte man mit den Figuren im selben Raum sein, Nähe herstellen. Dann wieder braucht man einigen Abstand. Ein Drehort muss diese Variationen erlauben.

STANDARD: "Sueño y silencio" wird gerahmt von einer dokumentarischen Beobachtung: Man sieht dem Maler Miquel Barceló bei der Arbeit zu. Wie kam das zustande?

Rosales: Ich bewundere ihn sehr, und habe ihn schon zu Beginn des Projekts gefragt. Er hat schließlich eine längere Schnittfassung des Films gesehen, und dann haben wir ihn an zwei Nachmittagen aufgenommen. Wir haben mit zwei Frames pro Sekunde gedreht, das erzeugt eine eigene Stimmung.

STANDARD: Es führt auch dazu, dass man sich erst einmal orientieren muss - sieht man einen Dokumentarfilm? Sind die Figuren Fiktion?

Rosales: Anfang und Ende eines Films sind entscheidend. Was dazwischen passiert, füllt eigentlich nur Lücken. Ich wollte möglichst das Leben zeigen, die Intensität nicht künstlich steigern. Kürzlich habe ich einen Film gesehen, da hat die Hauptfigur praktisch durchgeweint - das wollte ich nicht. Ich habe meine Darsteller, die keine professionellen Schauspieler sind, erst einmal machen lassen - geschaut, wie sie verschiedene Situationen angehen. Ich versuche dabei, ästhetisch starke Bilder zu machen. Die erste Einstellung nach der Barceló-Aufnahme zeigt eine Frau, die sich im Spiegel ansieht. Sie ist allein - und in der letzten Einstellung wieder. Das sagt irgendwie alles: Man geht durchs Leben - und man ist allein.

STANDARD: Reden Sie mit Ihren Darstellern über solche Überlegungen?

Rosales: Ich arbeite viel mit ihnen. Ich vermittle ihnen, dass sie mir sehr wichtig sind. Aber ich rede nicht viel über den Film, sie erhalten keine Anweisungen. Manchmal sind sie unsicher. Dann sage ich: Ich habe dich aus 300 Leuten ausgewählt, und ich bin mir da ganz sicher, du kannst das.

STANDARD: Proben Sie? Wie oft wiederholen Sie eine Szene?

Rosales: Nein, wir drehen eine Szene nur einmal. Wir haben aber viele Situationen gedreht, die nicht im Film sind, obwohl manche sehr gut geworden sind. Insgesamt vielleicht zehn Stunden.

STANDARD: Werden Sie weiter auf Film drehen?

Rosales: Für mein nächstes Projekt bietet es sich an, analog und digital zu drehen. Das Problem ist weniger ein ökonomisches, mein Film ist analog nicht teurer. Es ist mehr eine Frage der technischen Services, Kopierwerke, Labore et cetera. Es geht doch immer darum, wie man etwas benutzt. Es muss adäquat sein in Bezug aufs Sujet.

STANDARD: Und die Distribution?

Rosales: Ja, das ist ein Problem. In Spanien gingen Filmkopien in den Verleih, aber für Frankreich musste eine digitale Kopie gemacht werden. Ich musste mich fügen. Was mich am Digitalen wirklich ärgert, sind die Mythen, die sich darum ranken - etwa, wie demokratisch es sei. Dabei gibt es nichts, was stärker kontrolliert wird als das Internet! Von einer Handvoll großer Firmen. In keinem anderen Medium findet sich eine solche Machtkonzentration. Oder dass es billiger sei - das stimmt auch nicht. Viele Kinos sperren zu, weil sie sich die Projektoren nicht leisten können.

STANDARD: Worum wird es in Ihrem nächsten Film gehen?

Rosales: Um junge Menschen, Twentysomethings, und ihre Beziehung zur Technologie, zu Bildern und zum Bildermachen. Daraus folgt automatisch, dass ich digitale Aufnahmen inkorporiere. Meine Darsteller werden auch selber Material drehen - daraus wird der Film sich zusammensetzen. Aber er wird wieder ganz anders werden als dieser. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 28.6.2013)