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Der junge Mann hat buchstäblich die Stirn, nicht nur den Fußball, sondern auch das Begehr auf ein gutes Leben auf die Straße zu tragen.

Foto: AP/Peres

Wien / Rio de Janeiro - Am Sonntag geht der Confed-Cup ins sportliche Traumfinale: Spanien vs. Gastgeber Brasilien. Und es steht zu befürchten, dass das Geriatriezentrum namens Fifa sich danach satt zurücklehnen und mümmelnd ein ums andere Mal repetieren wird, was der Präsident dieses Fußballweltverbandes, Joseph Blatter, vor rund einer Woche gesagt hat: "Der Fußball ist stärker als die Unzufriedenheit der Menschen. Wenn der Ball erst einmal rollt, werden die Leute das verstehen, und das wird aufhören."

Das! Wahrscheinlich hat noch kein Sportpräsident offener seine und des Sportes Ignoranz zum Ausdruck gebracht wie dieser Schweizer, der unter der Korruptionsfuchtel des Brasilianers João Havelange ins Geschäft hineingewachsen ist. Denn mit das meinte er die von Millionen ins Scheinwerferlicht der Sportreporter-Kameras und -Mikrofone und -Schreibblöcke getragenen Proteste gegen die ballesterische Verhöhnung dessen, was man das normale Leben nennt.

Romário - der Romário -, zurzeit Parlamentsabgeordneter für Rio, brachte die wütendmachende Diskrepanz, die dem Weltfußball genauso innewohnt wie dem Weltsport als Ganzem, also dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), auf den Punkt: "Die Fifa kommt in unser Land und errichtet einen Staat im Staate. Sie kommen her, bauen den Zirkus auf, haben selber keine Ausgaben und nehmen alles mit."

Obwohl die Fifa schon 1950 in Brasilien war, als sich zum Abschluss in Maracanã die gleichnamige Schmach gegen Uruguay (1:2) begeben hatte, verhalten sich die alten Herren des Weltverbandes so, als hätte Ernst Jandl sie vor Augen gehabt beim Aufschreiben des Genieblitzes namens Calypso: "ich was not yet in brasilien / nach brasilien wuld ich laik du go / wer de wimen arr so ander / so quait ander denn anderwo."

Halbwegs und in Würde

Weder de wimen noch sonst wer sind ander denn anderwo. Sieht man von der offenbar zum Volkscharakter zählenden ballesterischen Verrücktheit ab, aus der heraus eine ganz spezielle Fähigkeit wächst, ist Brasilien so wie andere Länder auch. Größer, zur Zeit wachstumsintensiver; ein Subkontinent im Subkontinent. Aber die Menschen sehnen sich nach dem, wonach man sich überall sehnt: dass man, halbwegs wenigstens und in Würde, in die Kabine kommt; dass es die Kinder gut, womöglich besser haben mögen; dass, was allen genommen, nicht nur wenigen gegeben werde.

So, und nicht anders, kam es zu den in den landesweiten Protesten artikulierten Aufrechnungen: 8000 neue Schulen hätte man bauen können um die 2,4 Milliarden Euro, die in die Zurichtung und den Neubau der WM-Stadien fließen. Oder 39.000 Schulbusse. Oder 28.000 Sportplätze. Oder und, und, und.

Herr Romário und die EM 2008

Viele sehen die Protestwelle während des Confed-Cups - die, weil dieser Bewerb die Generalprobe für die WM 2014 ist, die Veranstalter besonders hell aufregt - als Nutzung der medialen Aufmerksamkeit. Tatsächlich sollte man aber nicht unterschätzen, wie sehr der Schau-Sport nicht Bühne, sondern auch selbst provozierender Anlass für die massivsten Unmutsäußerungen ist.

Jeder Österreicher wird die Beobachtungen des Herrn Romário bestätigen können. Als die kleine Schwester der Fifa, die Uefa, 2008 ihre EM auch in Österreich ausrichtete, erklärten sie und ihre willfährigen Büttel kurzerhand die Ringstraße - und nicht nur die - zum privaten Sperrgebiet, in dem dann wie zum Hohn "Public Viewing" veranstaltet wurde, innerhalb dessen es strikteste Markenkontrolle zum Nutzen der Uefa-Sponsoren gab. Eine klare Rechtsbeugung.

Der Gigant ist erwacht

Die aktuellen Proteste in Brasilien - Millionen waren schon in hunderten Städten auf der Straße, fürs Finale in Rio de Janeiro wird eine Art Kulmination angekündigt - beziehen sich auch auf diese dem globalisierten Kapitalismus sozusagen ein Gesicht aufsetzende Weise der zwei großen Weltsportverbände. 2016 kommt ja Olympia nach Brasilien.

Die Parole der Demonstranten ist "O gigante acordou", der Gigant ist erwacht. Aber dieser Gigant ist nicht der Sport. Sondern man selber. Die Hauptlosung der Proteste ist die Aufrechnung mit möglichen Investitionen in die Bildung. Eine solche hätten viele sich auch hierzulande gewünscht: Wie viele Lehrer hätte man ums Wörthersee-Stadion für wie lange beschäftigen können? (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 29./30. Juni 2013)