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Herr Eisel wird "es genießen".

Foto: APA/EXPA/Groder

Standard: Was überwiegt? Enttäuschung über die Nichtnominierung für die Tour de France oder Vorfreude auf das Rennen zu Hause?

Eisel: Ich fühle schon noch eine Riesenenttäuschung. Ich habe mich damit abfinden müssen, dieses Jahr gibt's eben keine Tour de France für mich. Schön langsam freue ich mich aber, daheim zu radeln. Es ist stressfrei, ich werde alte Bekannte treffen. Vor zehn Jahren bin ich zum letzten Mal die Österreich-Rundfahrt gefahren.

Standard: Sie versäumen die 100. Frankreich-Rundfahrt. Ist das doppelt bitter?

Eisel: 2003 bin ich meine erste große Rundfahrt gefahren, den Giro d' Italia. Danach wäre das Jubiläum "100 Jahre Tour de France" gewesen. Das habe ich damals wegen des Giro versäumt. Und jetzt versäume ich das nächste Spektakel.

Standard: Andererseits ersparen Sie sich als Sprinter zweimal die Bergwertung Alpe d'Huez.

Eisel: Das stimmt. Die Sprinter sind aber auch bei der bergigen Österreich-Tour nicht bevorzugt.

Standard: Was sind Ihre Ziele?

Eisel: Mein Team Sky hat mit Joseph Dombrowski einen, der auf den Gesamtsieg fahren kann. Ich will mich so gut wie möglich präsentieren. Ich werde versuchen, in eine Fluchtgruppe zu gehen, wenn ich eine Chance auf einen Etappensieg sehe. Nur: So viele Abschnitte dafür gibt es nicht. Ich mache mir keine Illusionen. Die Chance, dass ich nichts gewinne, ist um einiges größer.

Standard: Wie können Sie sich motivieren, Risiko zu nehmen?

Eisel: In erster Linie will ich Spaß haben. Ich werde es genießen, in Österreich zu fahren. Natürlich ist es ein Job, da ist Seriosität dabei. Aber es ist etwas anderes, wenn man dazu die Gastfreundschaft genießen kann, die Hotels, das Essen, am Abend sitzt man mit Freunden zusammen. Die Etappen sind nicht so lang, die Transfers sind kurz, eigentlich ist es die perfekte Rundfahrt.

Standard: Steht Ihnen im Vergleich zur Tour ein Urlaub bevor?

Eisel: Ein bisserl Erholung ist sicher dabei. Aber aufs Kühtai, das Kitzbüheler Horn und über den Großglockner werde ich schon leiden. Das Gute am Kitzbüheler Horn ist nur: Die Etappe ist oben aus. Ich gehe das Ganze entspannt an. Wäre ich bei der Tour de France gefahren, wäre ich die letzten Wochen rotiert. Ich habe bis zu dem Zeitpunkt voll trainiert, als ich erfahren habe, dass ich nicht dabei bin. Seither ist es ruhig, ich war zweimal im Wörthersee baden, das habe ich früher nie machen können. Bei drei Wochen Tour de France weißt du, wo du leiden wirst, wie oft du leiden wirst. Bei einer Woche Ö-Tour weißt du: Es ist eine Woche, der Spaßfaktor ist um einiges größer.

Standard: Noch nie war die Internationale Österreich-Rundfahrt so gut besetzt wie in diesem Jahr. Im Peloton fahren Olympiasieger und Weltmeister. Was ist der Grund?

Eisel: Als Vorbereitung für die Vuelta passt die Österreich-Tour gut hinein. Es ist einer der ersten großen Formtests und ein feines Training in den Bergen. Die Rundfahrt hat aber auch einen super Ruf auf der Tour, deswegen wollen auch die Fahrer hierher. Man sieht's vor allem bei den Teampflegern: Wenn die Mannschaften im Dezember den Rennplan für die kommende Saison besprechen, tragen sie sich gleich für Österreich ein. Die Tour de France ist das Größte, keine Frage. Der Stressfaktor ist aber auch zehnmal so hoch.

Standard: Trotz der Popularität stand die Rundfahrt bis zuletzt auf der Kippe, die Veranstalter werden mit einem sechsstelligen Minus bilanzieren. Ist der Radsport in Österreich gefährdet?

Eisel: Der Aufwand und die Kosten für ein Radrennen sind immens. Da spielt sich so viel im Hintergrund ab, mit Lkws, Barrieren, Polizei, Absperrungen. Und so viele Sponsoren gibt es im Sport auch nicht mehr, die meisten sind Gönner. Es stimmt, es gibt zu wenige Rennen und viel zu wenig Nachwuchs. Selbst wenn man ein Talent finden würde, es gibt kaum Klubs und Trainer, die sich darum kümmern können.

Standard: Die Österreicher besitzen insgesamt sechs Millionen Räder. Es gibt aber nur 30 Radprofis. Warum diese Diskrepanz?

Eisel: Vergleichen wir uns mal mit Slowenien. Die haben viermal weniger Einwohner, haben aber so viel mehr Paradesportler in den verschiedensten Disziplinen. Mich hat es so genervt, als die Lösung aller Probleme in der täglichen Schulsportstunde festgemacht wurde. Bitte nicht falsch verstehen, ich bin für mehr Sport in Schulen. Aber diese Stunde wird uns keine Olympiamedaillen holen. Dieser Hype war ein Witz.

Standard: Wo würden Sie für den Radsport ansetzen?

Eisel: Noch einmal klein anfangen, Sponsoren nerven, Nachwuchs und Trainer aufbauen. Das Riesenproblem für den Sport in Österreich ist: Wir sind ein Sozialstaat, wo es sehr vielen sehr gut geht. Den Kampf, Sportler zu werden, führen nicht viele. Dafür musst du leiden, du opferst ja auch oft deine Jugend für den Sport. Und Radfahren ist leider keine Disziplin, wo du dein Kind zur Sportstätte hinführst und zwei Stunden später wieder abholst. Ich bin aber hoffentlich Ansporn für Jugendliche, es zu versuchen.

Standard: Trauen Sie einem Österreicher zu, in der Gesamtwertung ein Wort mitzureden?

Eisel: Riccardo Zoidl hat die Tour de Bretagne gewonnen. Das spricht für ihn. Mit einem guten Zeitfahren ist ein Platz in den Top Ten oder mehr drinnen. Er ist auf dem besten Weg, Profi zu werden.

Standard: Zuletzt haben Dopingbekenntnisse von Exstars wie Lance Armstrong und Jan Ullrich für Aufsehen gesorgt. Jüngere Skandale sind ausgeblieben. Wo steht der Radsport in dieser Thematik?

Eisel: Es ist besser geworden, vor allem in den letzten sieben Jahren ist viel passiert. Wir beschreiten noch immer den Weg der Reinigung - und wir leiden darunter. Aber es ist der einzig richtige Weg. Zu den alten Fällen: Die lese ich mir nicht einmal mehr durch.

Standard: Wird es für Sie eine zehnte Tour de France geben?

Eisel: Abgeschlossen habe ich mit der Tour noch lange nicht. Bis 2015 habe ich einen Vertrag, derzeit macht mir der Sport Riesenspaß. Aber ich möchte nicht mit 40 noch auf einem Rennrad sitzen und durch Europa tingeln. Ich hab zu meinen alten Teamkollegen, die schon in Pension sind, gesagt: Burschen, wenn ihr mich irgendwann oben am Rad seht und euch zu schämen anfangt, bitte ruft mich an. Ich will dann nur die Worte hören: "Eisel, jetzt reicht's!" (David Krutzler, DER STANDARD, 29./30. Juni 2013)