STANDARD: Der Beitritt Kroatiens ist eine der wenigen positiven Nachrichten, die zurzeit aus der EU kommen. Wer profitiert eigentlich mehr davon Kroatien oder die EU?

Milanović: Europa war ein großes Friedensprojekt, aber nach dem wir spät dazukommen, ist es für uns vor allem eine Frage der praktischen Anwendbarkeit und der Nützlichkeit. Wir wollen einfach, dass es funktioniert und dass es uns etwas bringt. 

STANDARD: Was ist der größte Nutzen?

Milanović: Mittelfristig, dass wir der anregenden Kontrolle eines freien Marktes und des Freihandels ausgesetzt sind. Manche Leute bekommen Angst davor. Aber nur wenn wir solchen Tests ausgesetzt sind, können wir stärker und wettbewerbsfähiger und gefeiter werden.

STANDARD: Erwarten Sie dass es zu weiteren Privatisierungen in Kroatien kommen wird? Es gibt noch große staatliche Betriebe, wie etwa die Forstverwaltung. Die finanzielle Situation ist im Staat sehr angespannt. Wird es weitere Sparpakete geben?

Milanović: Nein, keine weiteren Sparpakete, aber eine rationale Haushaltsplanung. Wenn es um Privatisierung geht, so ist Kroatien einen viel weiteren Weg gegangen als etwa Slowenien, aber die kroatische Wasser- und Forstverwaltung und die Elektrizitätswerke stehen nicht zu Debatte. Diese Dinge werden immer nationaler Besitz bleiben und nicht privatisiert werden. Man muss sie aber definitiv effizienter machen und rationaler die Geschäfte führen.

STANDARD: Kroatien hat zu wenig Industrieinvestitionen und einen drastischen Exportmangel.

Milanović: Das ist richtig, aber der Tourismus kann vieles kompensieren. Der Tourismus ist eine „Zwei-Gang-Wirtschaft“: Die Dienstleistungen werden lokal angeboten, aber viele, die sie in Anspruch nehmen, kommen von auswärts. Insofern ist es auch eine Art Export.

STANDARD: Trotzdem...

Milanović: Trotzdem leiden wir unter einem Leistungsbilanzdefizit. Aber Österreich tut das auch.

STANDARD: Wer auch immer. Trotzdem ist es ein Problem für Kroatien.

Milanović: Es ist ein europäisches Problem, weil wir alle von Krediten leben. Nur Länder, die starken Exporten ausgesetzt sind, so wie etwa Deutschland haben einen Überschuss.

STANDARD: Kommen wir zurück nach Kroatien. Die Investitionen gehen schon seit Jahren zurück. Jetzt erst hat man ein neues Gesetz gemacht, um strategische Investitionen anzuschieben. Weshalb haben Sie das nicht bereits vor einem Jahr gemacht?

Milanović: Das Faktum, dass es passiert, bringt eine grundlegende Veränderung. Die Frage ist, weshalb es nicht vor fünf Jahren passiert ist.

STANDARD: Meine Frage war, warum es nicht vor einem Jahr passiert ist. Ihre Regierung ist seit Ende 2011 im Amt.

Milanović: Mein Mandat dauert vier Jahre und ich bin glücklich, dass wir es überhaupt geschafft haben. Es verkürzt einige Verfahren dramatisch. Und es war nicht einfach das mit europäischen Regelungen auszubalancieren und in Einklang mit kroatischen Regelungen zu bringen, die nicht immer sehr investitionsfreundlich waren.

STANDARD: Wie gut ist Kroatien vorbereitet, EU-Fonds abzuschöpfen?

Milanović: Wenn wir nicht gut vorbereitet sind, nach so vielen Jahren der Kontrolle und des Drucks seitens der Europäischen Union, dann weiß ich nicht, wer in der Welt sonst gut vorbereitet sein soll. Je mehr wir es schaffen, die Differenz zwischen den Beiträgen und den Beihilfen zu vergrößern, desto erfolgreicher sind wir. Also erwarten Sie, dass Kroatien ziemlich erfolgreich sein wird. Der Beitrittsprozess hat so lange bei uns gedauert. Wir müssen etwas gelernt haben, selbst wenn wir mittelmäßige Leute sind.

STANDARD: Wie viel wollen Sie abschöpfen?

Milanović: Wir wollen hundert Prozent, aber 75 Prozent sind realistisch.

STANDARD: Es gibt hier viele Ökonomen, die sagen, dass ohne einschneidende Reformen im Gesundheits-, Pensions- und Sozialbereich das Ansteigen des Budgetdefizits nicht aufgehalten werden kann. Welche Reformen planen Sie?

Milanović: Flächendeckende. Zur Zeit ist unser größtes Problem, dass wir eine zu niedrige Beschäftigungsquote haben. Aber angesichts dessen sind wir ziemlich produktiv

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Milanović: Ziemlich wenig Leute bringen ein ziemlich hohes Bruttoinlandsprodukt hervor.

STANDARD: Die Arbeitslosenrate beträgt 18 Prozent, bei der Jugend 40 Prozent.

Milanović: Das heißt, dass wir mehr Jobs schaffen müssen, die meisten davon flexibel und die meisten Teilzeit, weil das funktioniert in Deutschland und in Österreich. Vollbeschäftigung und lebenslange Beschäftigung, wie wir das noch vor 25 Jahren gekannt haben, gibt es nicht mehr. Wenn Deutschland und Österreich an den Standards von damals gemessen werden würde, würde die Arbeitslosenrate dort viel höher sein. Viele Leute, die heute als arbeitend registriert sind, wären als solche vor drei Jahren noch nicht angesehen gewesen. Die Zeiten ändern sich.

STANDARD: Wenn Sie mehr Flexibilität auf den kroatischen Arbeitsmarkt bringen wollen und auf das deutsche Modell verweisen, sind Sie dann für Hartz IV?

Milanović: Natürlich. Absolut. Und jeder der anders denkt, denkt überhaupt nicht.

STANDARD: Wollen Sie damit im Herbst beginnen?

Milanović: Das Arbeitsgesetz ist in Vorbereitung.

STANDARD: Wann wird es umgesetzt?

Milanović: In absehbarer Zeit.

STANDARD: Aber nicht vor Herbst?

Milanović: Das geht nicht. Wenn man in „absehbarer Zeit“ sagt so heißt das etwas anderes in Österreich als in Kroatien und noch etwas anderes wo anders.

STANDARD: Also was heißt es jetzt in Kroatien, wenn Sie das sagen?

Milanović: In vertretbar kurzer Zeit, aber nicht sofort.

STANDARD: Was heißt das?

Milanović: Im Herbst.

STANDARD: Es gibt Ökonomen, die sagen, dass Kroatien wegen des Budgetdefizits mit einem Defizitverfahren rechnen muss, wenn es der EU beigetreten ist.

Milanović: Wir müssen hart arbeiten, um das Defizit runter zu bringen.

STANDARD: Erwarten Sie so ein Verfahren?

Milanović: So ein Verfahren beunruhigt mich jedenfalls nicht. Ziel ist es, das Defizit runterzubringen. Einige Panikmacher sind jahrelang herumgerannt und haben uns mit dem Internationalen Währungsfonds gedroht. Und wie Sie sehen, ist der IWF nicht gekommen. Also, alles was die Fabrik zusammenhält und die Kosten runter bringt, ist für mein Land gut.

STANDARD: So ein Verfahren könnte Ihnen ja auch nützen, Reformen vorwärtszubringen.

Milanović: Dazu will ich nichts sagen.

STANDARD: Gut, kommen wir zu den politischen Implikationen des Beitritts. Serbien bekommt ein Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen. Hat der Kroatien-Beitritt eine Dynamik auf dem Balkan entfachen können? Und kann Kroatien als Modell für Serbien dienen?

Milanović: Nachdem Kroatien der letzte Staat ist, der beitritt, ist es notwendigerweise ein Modell für jeden andere Anwärter oder Kandidaten. Und weil einige Standards und Überprüfungen auf Kroatien zugeschnitten wurden, wird jeder, der als nächstes von den postkommunistischen Ländern dran kommt, mindestens die gleichen Kontrollen durchgehen müssen. Das ist der Stand der Dinge. Aber ich wünsche Serbien alles Gute. Ganz aufrichtig und von Herzen.

STANDARD: Aber es gibt auch Ähnlichkeiten zwischen Kroatien und Serbien, beide waren in den Krieg involviert...

Milanović: Ich ziehe es vor, zu sagen, dass wir in den Krieg hineingezogen wurden. Wir wurden attackiert. Ich erwarte aber nicht von Ihnen, dass Sie im Bezug auf diese Nuancen sensibel sind. Also ich nehme das jetzt nicht persönlich. Ich habe das auch nie getan. Selbst wenn Sie das vor zwanzig Jahren gesagt hätten, wäre mir das egal gewesen.

STANDARD: Der serbische Präsident Tomislav Nikolić wird am Sonntag zu den EU-Feierlichkeiten nach Zagreb kommen. Das ist etwas, was noch vor einem halben Jahr unwahrscheinlich erschien. Werden sich die Beziehungen zu Serbien durch den Beitritt verändern? Wann werden die wechselseitigen Völkermordklagen zurückgezogen werden?

Milanović: Die Klagen bei dem Internationalen Gericht in Den Haag belasten unsere Beziehungen in einem Ausmaß, dass wir energischer in Betracht ziehen müssen, was wir damit machen. Aber das ist alles was ich als Vorhersage machen kann. In der alltäglichen politischen Arbeit bin ich auf die serbische Regierung ausgerichtet, weil diese Außenpolitik und Wirtschaftspolitik macht. Also Tatsache ist, dass die Verantwortung bei der Regierung liegt und...

STANDARD: ... nicht beim Präsidenten. Aber hier geht es um eine symbolische Ebene.

Milanović: Nichts symbolisch Hehres kann schaden. Es kann nur zum Besseren führen.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass sich die Beziehungen verbessert haben? Es gab ja Verstimmungen nach den Freisprüchen für Gotovina und Markač.

Milanović: Oder nach dem Freispruch für den serbischen Generalstabschef (Momčilo Perišić, Anm. der Red.). Schauen Sie, ich habe nicht die Angewohnheit, zurückzuschauen. Man muss die Vergangenheit ruhen lassen. Wir müssen zusammenarbeiten.

STANDARD: In einigen Ländern des Balkan, wie etwa in Bosnien-Herzegowina oder auch in Mazedonien herrscht seit Jahren politischer Stillstand. In der Region sieht es überhaupt nicht positiv aus. Wie kann Kroatien helfen?

Milanović: Als aktiver Partner, aber nicht mehr. Natürlich haben wir starke wirtschaftliche und eigennützige Interessen, so wie das jeder in der Region haben dürfte. Wir sind dort viel weniger präsent, als wir wollen würden. Aber wie die jüngste Fusion eines großen kroatischen Händlers und Industrieunternehmers (Agrokor, Anm. der Red.) mit dem slowenischen Mercator zeigt, gibt es Raum für Kooperation. Wir werden dort sein, aber nicht als Kolonisatoren, sondern an erster Stelle als Wirtschaftspartner. Ich kann keines dieser Länder nach meinem Modell verändern. Und ich möchte das auch nicht.

STANDARD: Vor kurzem wurden sechs bosnische Kroaten wegen Kriegsverbrechen vom Haager Tribunal verurteilt. In Kroatien gibt es doch einige Leute, die sich nicht vorstellen können, dass auch Kroaten Kriegsverbrechen begangen haben. Wo steht das Land in Sachen Vergangenheitsbewältigung?

Milanović: Man sollte nicht die Entwicklungen nach dem Krieg und die Kriegsfolgen in dieser Region mit jenen nach dem Zweiten vergleichen. Das ist nicht dasselbe. Aber wenn es um dieses Urteil geht, so können manche Elemente davon in Kroatien nicht unbeachtet bleiben, vor allem jenes Element, wo es darum geht, dass die kroatische Regierung damals ein „gemeinsames verbrecherisches Unterfangen“ begangen hätte, indem sie versucht haben soll eine Sezession der kroatisch bewohnten Gebieten in Bosnien-Herzegowina zu erreichen. Ich muss sagen, dass weder die Logik noch die Beweise so ein Urteil unterstützen. Wir werden sehen, was in zweiter Instanz passieren wird.

STANDARD: Sie meinen, dass das „gemeinsame verbrecherische Unterfangen“ hinterfragt werden wird?

Milanović: Ja, total. Und soweit Kroatien das kann, wird es sich da involvieren. Wir können da nicht passiv bleiben, weil das sehr starke Implikationen für uns hat.

STANDARD: In welcher Hinsicht?

Milanović: In der Hinsicht, dass wir als Aggressoren und okkupierende Macht in Bosnien bezeichnet werden, was nach unserem Wissen und unserer Erfahrung nicht wahr ist.

STANDARD: Aber wie sehen Sie dann die Rolle von Kroatien im Krieg in Bosnien-Herzegowina?

Milanović: Konstruktiv. Es gab zahlreiche bilaterale Abkommen, die die militärische Kooperation zwischen Zagreb und Sarajevo kodifizierte. Wenn es nicht die kroatische Armee gegeben hätte, dann wäre Bihać verloren gewesen und hätte das Schicksal von Srebrenica erlitten.

STANDARD: Ja, aber das war am Ende des Kriegs.

Milanović: Das war 1995.

STANDARD: Aber bei dem Urteil ging es um die Zeit davor.

Milanović: Es gab viele Dinge in der Zeit davor. Ich sollte Sie daran erinnern, dass Bosnien-Herzegowina ohne die Stimmen der bosnischen Kroaten seine Unabhängigkeit 1992 nicht bekommen hätte. Das war dank der Muslime und der Kroaten. Eigentlich hat also jeder bosnische Kroate dafür gestimmt, wenn ich für die sprechen darf. Die, die für die Unabhängigkeit gestimmt haben, werden nicht notwendigerweise versucht haben, ein Jahr später das Land seiner Bestimmung zu entziehen. Die Geschichte ist sehr komplex.

STANDARD: Ja, die Geschichte ist sehr komplex. Aber sogar Präsident Ivo Josipović hat sich 2010 in Sarajevo für die Politik Kroatiens in Bosnien-Herzegowina in den 1990er Jahren entschuldigt.

Milanović: Nochmals: Das ist symbolisch. Und es ist gut, dass er das getan hat. Auch ich stehe für die Rechte der Minderheiten in Kroatien und dafür, dass sie ihre Schrift verwenden können.

STANDARD: Ich habe den Eindruck hier in Kroatien, dass argumentiert wird, dass die kyrillische Schrift in Vukovar eingeführt werden muss, weil es das Gesetz vorschreibt. Man hört allerdings nicht so oft, dass das auch ein Werkzeug zur Versöhnung und Integration sein kann. Weshalb finden Sie die Einführung der kyrillischen Schrift auf den Ortstafeln wichtig?

Milanović: Das ist genau das, was ich zu den orthodoxen Weihnachtsfeierlichkeiten, die vom serbischen Rat organisiert wurden, gesagt habe. Ich habe gesagt: Wir tun das aus zwei Gründen: Erstens weil es dem Gesetz entspricht und zweitens weil es gut ist.

STANDARD: Und warum ist es gut?

Milanović: Aus den Gründen, die Sie genannt haben. Es ist einfach gut für die Gesellschaft. Aber es ist auch ein Höhepunkt, dass der kroatische Staat, die kroatischen Gesetze vollkommen und zur Gänze in der Stadt Vukovar umsetzt. Also ist es ein doppelter Triumph. Es ist ein Triumph des Guten und ein Triumph der Form. Ich habe auch die kroatische glagolitische Schrift angesprochen, was spezifisch für die Kroaten als einzige westliche christliche Nation ist, die eine völlig andere Schrift hatten, anders als die Lateinische Schrift. Wir waren immer eine Art Rebellen und wir waren die einzige katholische Entität, der es von Rom erlaubt war, das so zu machen. Die ersten schriftlichen Monumente waren nicht in lateinischer Schrift, oder höchstens in beiden Schriften und erst zu Beginn der Neuzeit hat die lateinische Schrift dann völlig überhand genommen. Die glagolitische Schrift stammt aus dem griechischen Alphabet und sie wurde von den beiden berühmten Priestern aus Thessaloniki, Kyrill und Method an die slawisch Sprechenden adaptiert. Die haben das eigentlich getan, um die Slawen in Böhmen und Mähren zu christianisieren, aber dann ist das in den Süden runter gegangen, nach Kroatien und Dalmatien. Auf der Insel Krk konnte man das erste schriftliche Monument, die Tafel von Baška, aufspüren.

STANDARD: Eine kyrillische Schrift kann man auch in Bosnien finden, auf den stećci etwa.

Milanović: Es ist eigentlich unerheblich, woher diese Schrift ethnisch betrachtet abstammt. Es ist eine Mischung. Aber die Kroaten haben vor allem Glagolitisch verwenden und in Bosnien und im dalmatinischen Hinterland wurde die Bosančica von Katholiken und dem bosnischen Adel verwendet, die typisch kroatische Namen hatten, sowie Hrvoje oder Tvrtko.

STANDARD: In welcher Hinsicht sehen Sie das als rebellisch an?

Milanović: Rebellisch im Sinne von Widerspenstigkeit und Ungehorsam gegenüber dem Heiligen Stuhl und dem Vatikan. Aber auch die Angelegenheit mit den Bogumilen in Bosnien war anders als es oft wahrgenommen wird, nämlich, dass die dort bekümmert gewesen sein sollen. Es gibt nichts Materielles was dafür spricht, sondern eher, dass das einfach rebellische Leute waren, die dauernd die Seiten gewechselt haben, um nicht zu Subjekten der ungarischen Krone zu werden.

STANDARD: Also wann werden Sie die kyrillischen Amtstafeln in Vukovar einführen?

Milanović: Demnächst.

STANDARD: Was heißt „demnächst“ im kroatischen Sinn? Heißt das auch „im Herbst“?

Milanović: Nein, es heißt demnächst. Es geht nur um technische Dinge, einige Schilder werden ausgewechselt, für die, die staatliche Ebene zuständig ist.

STANDARD: Heißt das nun im Sommer oder im Herbst?

Milanović: Es heißt: Sehr bald. Ich habe im März gesagt: Gleich nach den Lokalwahlen. Und wir wollten das aber absichtlich nicht gleich machen, damit die anderen das nicht ausschlachten. Es kann also morgen sein oder im September. Das sind aber nur die Schilder, die den Staat betreffen. Wir können ja nicht die Schilder von Institutionen austauschen, die lokal verwaltet werden. Das ist die Angelegenheit der lokalen Institutionen. Aber was den Zentralstaat betrifft, so machen wir das jetzt zuerst, um für die anderen ein Vorbild zu sein.

STANDARD: Also im September?

Milanović: Ach, Sie sind so eine Deutsche oder besser gesagt eine deutschsprechende Österreicherin!

STANDARD: Wann kann Kroatien dem Schengenraum beitreten?

Milanović: Angesichts der langen Zeit der Überprüfungen und der Harmonisierungen mit dem europäischen Regeln, haben wir gute Chancen, dass dies eher heute als morgen der Fall sein wird, also schneller als die anderen Länder. Die lange Grenze zwischen Bosnien und Kroatien könnte die Angelegenheit ein wenig erschweren, weil das komplex ist. Aber wenn es nach uns geht, werden wir zwei Jahre nach dem Beitritt darum ansuchen und dann werden wir sehen was passiert. Aber ich erkläre das zu einem der vorrangigen politischen Ziele meiner Regierung. 

STANDARD: Manche fürchten hier, dass diese frühere Grenze zum Osmanischen Reich, die heutige EU-Außengrenze, eine neue Mauer werden könnte, um den Balkan aus der EU rauszuhalten. Abgesehen davon gibt es eine große Beitrittsmüdigkeit in Frankreich und in Deutschland.

Milanović: Nein, nein, die Verbindungen sind zu stark. Ich sehe das nicht so, obwohl da ein bisschen Wahrheit in dem liegt, was Sie sagen. Aber auch wenn man heute vom östlichsten Punkt von Slowenien zum westlichsten Punkt von Bosnien reist, ist es nur eine ganz kurze Spanne in der Luft. Und diese Einheiten waren mehr oder weniger Teil der gleichen Regierung in den vergangenen hundert Jahren, seit dem Berliner Kongress bis zum Zusammenbruch von Jugoslawien.

STANDARD: Wann kann der Euro in Kroatien eingeführt werden?

Milanović: Ich weiß es nicht. Wir drängen da nicht. Wir haben eine sorgfältige Analyse gemacht.

STANDARD: Weshalb? Trauen Sie dem Euro nicht?

Milanović: Doch ich traue dem Euro. Ich glaube nicht nur, dass er überleben wird, sondern auch, dass er „anfahren“ wird. Das sind jetzt Kinderkrankheiten.

STANDARD: Zunächst muss sich Europa reformieren?

Milanović: Ja. Ich dachte immer so. Aber ich glaube nicht, dass der letzte Schritt die „Vereinigten Staaten von Europa“ sein sollen.

STANDARD: Was ist Ihr Modell?

Milanović: Das Modell, wie es jetzt ist. Aber die Fiskalpolitik muss genauer überprüft werden, denn wenn man eine Währungsunion schafft, ohne die Flanken abzusichern, ist das so, als ob man in einem Angriff nach vorn stürmt, aber nicht auf Versorgungslinien und die Flanken schaut. Militärisch gesprochen sollte man die Flanken und die Rückseite absichern.

STANDARD: Der Verfassungsgerichtshof hat in Kroatien das Gesetz, durch das Sexualerziehung in den Schulen eingeführt werden sollte, aufgehoben. Er hat argumentiert, dass das Gesetz nicht lange genug debattiert wurde. Der Kirche nahestehende Initiativen wollen zudem per Referendum eine Homo-Ehe verhindern, die von der Regierung gar nicht geplant ist. Wird das Referendum stattfinden? Und wann wird das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft für Homosexuelle eingeführt werden?

Milanović: Letzeres wird demnächst eingeführt, also am Ende dieses Kalenderjahres. Was das Referendum betrifft, so muss man das Parlament fragen. Ich könnte für die Sozialdemokraten sprechen, deren Chef ich bin, aber ich werde das nicht machen, weil das nicht unsere Initiative ist. Was den Gesundheitsunterricht betrifft, so beachten wir das Verfassungsgericht, aber ich bin überrascht darüber, dass das nicht ausreichend debattiert worden sein soll. Denn wenn es irgendetwas gibt, was in unserer Gesellschaft debattiert wurde, dann war es das.

STANDARD: Die Debatte war also lang genug?

Milanović: Das war beispiellos. Aber wir werden diesmal formalistischer sein (beim zweiten Anlauf, das Gesetz durchzubringen, Anm. der Red.). Doch die Inhalte stehen für mich außer Zweifel. Wir wollen, dass die Kinder hier dieselben Curricula haben, wie die in Österreich oder in Hessen oder in Baden-Württemberg. Das ist alles, was ich brauche. Nicht unbedingt Dänemark, aber sowie in den deutschsprechenden Gebieten

Europas. Wenn unseren Kindern nicht der Zugang zu dieser Information erlaubt wird, zu freien Gedanken und zur freien Erforschung und Ergründung von Informationen, dann hinken wir hinter Europa nach. Unsere Kinder müssen in einem freien Geist erzogen werden.  

STANDARD: Denken Sie, dass die Gesellschaft hier ein Problem mit Homophobie hat?

Milanović: Jede Gesellschaft hat das, bis auf die skandinavischen Gesellschaften.

STANDARD: Aber hier ist es schon schlimmer.

Milanović: Wir machen unser Bestes, um das zu ändern, Schritt für Schritt. Ich bin im gesellschaftlichen Sinn liberal und im ökonomischen Sinn vernünftig. Das ist das neue Gesicht der Sozialdemokratie, das neue Herz, wenn Sie so wollen.

STANDARD: Bei der letzten Frage geht es um die Hypo Bank.

Milanović: Um die Hypo Bank? Ich bin ziemlich unkundig, wenn es darum geht. Ich kenne diese Sache nur aus den Zeitungen. Aber bitte. Die Hypo Bank hat mich nie sehr interessiert, das hat niemals meine juristische oder intellektuelle Neugier angesprochen. Die Gerichte müssen klären, ob es da irgendetwas Illegales gab. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 29.6.2013)