Auf den Plakaten in Zagreb ist nichts weiter als "HR, EU." zu lesen. Also: Kroatien, Beistrich, Europäische Union, Punkt. Das kann man etwa so interpretieren: "Wir sind jetzt dabei. Und so ist es." Die Kroaten sind sehr nüchtern, wenn es um den Beitritt geht. Erstens wissen sie, dass ihr Land weit davon entfernt ist, perfekt zu sein: Es kämpft mit einer hohen Arbeitslosigkeit und Schuldenlast, mit wirtschaftlicher Flaute und Intransparenz in der Justiz. Aber zweitens wissen sie auch, dass Kroatien damit eigentlich ganz gut die Schwierigkeiten der gesamten Europäischen Union widerspiegelt.

Und das ist noch nicht der Punkt, sondern erst der Beistrich. Denn Tatsache ist, dass sich Kroatien in den vergangenen Jahren zum Besseren entwickelt hat. Und zwar wegen der Europäischen Union. Punkt. Gerade das kroatische Beispiel zeigt, dass die EU Transformationskraft besitzt. Die Gesellschaft ist in den vergangenen acht Jahren seit Verhandlungsbeginn eine liberalere und pluralistischere geworden. Dazu gehört etwa auch die Freiheit, nicht irgendwo dazugehören zu müssen und trotzdem akzeptiert zu werden. Man muss keine Ressentiments gegen andere Volksgruppen pflegen, und man muss nicht Franjo Tudjman verehren und kann trotzdem ein Kroate sein. Die dumpfen 1990er-Jahre sind vorbei.

Kroatien ist zudem der erste EU-Staat, der in den 1990er-Jahren einen Krieg erlebte. Die EU-Mitgliedschaft bedeutet hier auch Gewissheit, dass so ein Krieg nicht mehr ausbrechen kann. In Südosteuropa ist die EU wieder ein Friedensprojekt. "Wir sind mental näher an der Generation nach dem Zweiten Weltkrieg als irgendwer anderer in der EU", sagte etwa der Politologe Dejan Jovic am Freitag in Zagreb bei der Veranstaltung "Europe joins Croatia". "Weniger Souveränität heißt für uns mehr Sicherheit."

Es waren vor allem die politischen Kriterien, etwa die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, die Kroatien im Beitrittsprozess herausforderten. Auch ein anderer Aspekt der Vergangenheitsbewältigung war zentral: der Umgang mit den Nachbarn, den ehemaligen Teilrepubliken des zerfallenen Jugoslawiens. Mittlerweile gibt es eine einigermaßen partnerschaftliche Haltung zu Slowenien, das sich mit Kroatien jahrelang matchte. Die EU fordert diese Partnerschaft auch zu Serbien ein. Ohne Beitrittsprozess hätte sie dazu nicht die Werkzeuge in der Hand. Und Belgrad ist es gar nicht egal, dass Zagreb nun am Tisch in Brüssel repräsentiert ist. Durch den Beitritt ist bereits eine neue Dynamik entstanden.

So ist es ein Fortschritt, dass der serbische Präsident Tomislav Nikolic in Zagreb Kroatiens Beitritt feiert. Und es ist auch ein Erfolg der EU, dass die Nachbarn die wechselseitigen Völkermordklagen zurückziehen wollen. Belgrads Einlenken gegenüber dem Kosovo ist ohnehin ein Meilenstein.

Man darf aber nicht vergessen, dass sich nicht nur die Staaten auf dem Weg in die EU verändern, sondern dass sich auch die EU transformiert. Inmitten der Krise akzeptiert die Europäische Union, einen 28. Staat aufzunehmen, der noch dazu Probleme hat. Mit Kroatiens EU-Beitritt beweist sich die EU selbst, dass sie nicht nur weiter wachsen will, sondern auch weitermacht, trotz aller Unkenrufe. Angesichts dessen könnte man, wenn man wollte, kurz aufhören zu jammern und ein wenig zufrieden sein. Und sich freuen. Mit unseren Nachbarn. Cestitam, Hrvatskoj! Gratulation, Kroatien! (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 1.7.2013)