
Beer hält die Empörung über die US-Geheimdienste für gekünstelt.
Geheimdienstexperte Siegfried Beer von der Universität Graz geht davon aus, dass in Österreich 60 bis 80 Mitarbeiter der US-Geheimdienste aktiv sind. Mit Siegfried Beer sprach Walter Müller.
STANDARD: Europäische Politiker sind über die Massivität der Abhörtätigkeiten der US-Geheimdienste empört. Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten wissenschaftlich mit den Praktiken von Geheimdiensten. Waren auch Sie überrascht?
Beer: Nein, es hat mich überhaupt nicht überrascht. Es ist doch seit Jahrzehnten bekannt, was Geheimdienste wie die NSA so treiben. Da gibt es genug Literatur darüber. Jetzt ist halt dazugekommen, dass sich seit etwa 25 Jahren die technologischen Möglichkeiten kontinuierlich und spektakulär erweitert haben. Die jetzt zur Schau getragene Betroffenheit ist natürlich auch ein politisches Spiel. Aber an sich handelt es sich hier um völlig normale Geheimdiensttätigkeit.
STANDARD: Auch dass befreundete Staaten, dass Europa permanent ausspioniert werden?
Beer: Auch das. Das ist einfach Realität, dass nicht nur Feinde ausspioniert werden, sondern auch Freunde, weil sie könnten ja zu Konkurrenten, ja sogar zu Feinden werden - siehe Sowjetunion nach dem gemeinsamen Sieg über den Faschismus. Ich denke aber nicht, dass Europa praktisch rund um die Uhr abgehört wird, das sind schon jeweils gezielte Aktionen. Man darf nicht vergessen, dass für Amerika strategisch natürlich interessant ist, was Europa vorhat. Aber die EU-Politiker sollen jetzt nicht so die Erschrockenen spielen. Auch die britischen, deutschen oder französischen Dienste spionieren außerhalb Europas. Selbst der österreichische Dienst.
STANDARD: Inwieweit steht Österreich im Visier amerikanischer Geheimdienste?
Beer: Österreich ist nach wie vor ein Tummelplatz für Agenten. Sie schätzen hier das ruhige Klima, außerdem besitzt Österreich nach wie vor eine interessante geopolitische Ausgangslage. Ich schätze, dass so 60 bis 80 US-Mitarbeiter diverser Dienste bei uns tätig sind, in diplomatischen Vertretungen, in Banken, internationalen Konzernen oder auch Medien. Sie schauen, dass sie an die Eliten herankommen. Sie haben auch Verbindungsstellen in unseren geheimdienstlichen Institutionen.
STANDARD: Wissen das Österreichs Politiker? Weiß das Kanzler Faymann oder Vizekanzler Spindelegger?
Beer: Ich denke nicht. Österreichische Politiker haben offensichtlich keine Ahnung, was da abläuft. Sie haben sich auch noch nie dafür interessiert. Es ist aber auszuschließen, dass etwa ein Herr Faymann oder Spindelegger für US-Geheimdienste von irgendeinem Interesse sind.
STANDARD: Kontrollieren Österreichs Spitzenpolitiker eigentlich, was die eigenen Dienste so treiben?
Beer: Ich gehe davon aus: Nein.
STANDARD:Was ist an neuen Enthüllungen noch zu erwarten? Gibt es in der Geheimdienstarbeit der USA noch weitere dunkle Flecken, die durch Edward Snowden erhellt werden könnten?
Beer: Da wäre noch einiges denkbar. Es könnten überraschende Namen von Persönlichkeiten, die observiert werden, auftauchen oder Daten über gezielte Wirtschaftsspionage bei sensiblen Firmen wie Siemens. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. (Walter Müller, DER STANDARD, 3.7.2013)