
Auf Harald Martenstein ist Verlass. Alle Jahre wieder richtet er unsere Aufmerksamkeit auf die unausweichlichen Gesetzmäßigkeiten der Natur, wie sie sich besonders "klug" im Unterschied zwischen Mann und Frau offenbaren. Doch obwohl er so verständliche Worte findet, obwohl er biologische Tatsachen ("was ist mit den Hormonen?", "was ist mit der Evolution?") immer wieder aufs Tapet bringt, gibt es nach wie vor Menschen und Einrichtungen, die das einfach nicht in ihren bockigen Kopf kriegen. Namentlich die Genderforschung.
Genderforschung als Antiwissenschaft
Diese wird in seinem neuesten "Zeit Magazin"-Artikel mit dem Titel "Schlecht, schlechter, Geschlecht" mal wieder richtig abgewatscht. Für Martenstein ist sie eine "Antiwissenschaft", weil sie nichts herausfinden, sondern mit aller Kraft etwas widerlegen will. Er vergleicht sie mit den Kreationisten, weil sie sich mit evolutionären Tatsachen nicht abfinden können.
Publizisten wie Martenstein, die kontinuierlich gegen die Reputation der Genderforschung anschreiben, gibt es inzwischen viele. Doch nur wenige dürfen dies in so angesehenen Blättern wie der deutschen "Zeit" tun. Die meisten Wahrer einer patriarchalen Vernunft versuchen sich in Online-Foren, auf Blogs oder in Kurier-Freizeit-Kolumnen.
Argumente in der Auseinandersetzung
Dennoch, den Betroffenen dieser Verleumdungen reicht es jetzt. Eine Gruppe von deutschen SozialwissenschafterInnen hat sich mit den Vorwürfen im Detail auseinandergesetzt und eine Broschüre verfasst, die künftig Argumente im Streit um Geschlechterverhältnisse liefern soll.
"Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie", so der Titel der Publikation, richtet den Blick auf den Hauptstrang der Kritik – den der Unwissenschaftlichkeit und angeblichen Ideologiebehaftung der Genderforschung. Dabei wählten die AutorInnen Regina Frey, Marc Gärtner, Manfred Köhnen und Sebastian Scheele den klugen Weg, die in den aktuellen Anti-Gender-Debatten verwendeten Begriffe wie "Wissenschaftlichkeit", "Objektivität" oder auch "Ideologie" noch einmal grundlegend herzuleiten.
Auf dieser Basis analysieren sie die zentralen Argumentationsweisen der Gender-KritikerInnen, etwa, dass einzig die Naturwissenschaften in der Lage seien, objektives, interesseloses Wissen zu produzieren. Wenn aber genau diese Naturwissenschaften andere als die gewünschten Ergebnisse liefern, wie etwa Cordelia Fine mit ihrer großen Studie "Die Geschlechterlüge" über die Neurowissenschaften, wird dieser quantitativen Forschung erst wieder "Missbrauch" und "Uminterpretation" biologischer Tatsachen vorgeworfen.
Die AutorInnen weisen also nach, dass es den Anti-Gender-PublizistInnen nicht um die Wahrung wissenschaftlicher Standards geht, sondern darum, dass die soziale Geschlechterordnung von den Wissenschaften als unveränderliche Natur beschrieben werden soll.
"Absurder" Ideologie-Vorwurf
Den Ideologievorwurf an die Genderforschung, dass ihre Forschung also politisch motiviert sei, weisen die AutorInnen als "absurd" und als frappierende Unkenntnis der Materie zurück, da ja gerade die interdisziplinären Gender Studies vehement und auch sehr selbstkritisch auf die Verschränkung von Wissen und Macht, also die Situiertheit von Wissen, hinweisen. "Die Behauptung universalistischer Wissenschaft ist tatsächlich um einiges 'ideologischer', weil sie die eigene Standortgebundenheit leugnet, während gerade in den Gender Studies dies grundlegend diskutiert wird", heißt es in dem Band.
Kritik oder Delegitimierung?
Schlussendlich ist die Broschüre auch noch mit ein paar Prüffragen versehen: diese sollen ForscherInnen und AktivistInnen, die sich mit unklaren Vorwürfen konfrontiert sehen, einen schnellen Überblick darüber verschaffen, ob es sich dabei um Kritik oder um Strategien der Delegitimierung ihrer Forschung handelt. Eine Einordnungshilfe, die dem/der Betroffenen Zeit und Nerven sparen soll.
Mit dem neuen Band hat das Gunda Werner Institut eine inhaltliche Lücke gefüllt, von der vorher vermutlich viele nicht wussten, dass sie überhaupt existiert. Die AutorInnen selbst begründen ihr Engagement damit, dass die meist unqualifizierten Aussagen inzwischen "Wirkung entfalten und zum Teil von AkteurInnen in wissenschaftlichen Organisationen und Bildungseinrichtungen unhinterfragt aufgegriffen werden".
Der Band wird zweifelsohne helfen, sich gegen solche Vorwürfe zur Wehr zu setzen. Den abgestandenen Dunst, den die Differenz-Apologeten in den Feuilletons und Netzöffentlichkeiten verbreiten, wird das knapp 70 Seiten starke Büchlein aber vermutlich auch nicht schneller verwehen. Im Gegenteil: Manche Zitierte werden sich vermutlich geehrt und bestärkt fühlen. (freu, dieStandard.at, 3.7.2013)