Ein geheimnisvolles Auf und Ab von Taschen filmte Künstlerin Anna Jermolaewa (geb. 1970) in Havanna. 

Foto: Galerie Kerstin Engholm

Wien - Eine Einkaufstasche tanzt durchs Bild. Die Kamera fängt das an einer Leine baumelnde Utensil ein, wie es langsam über eine Hausfassade wandert. Auch andere Behältnisse - Körbe oder Nylonsackerl - wackeln an den bröckeligen Wänden entlang hinauf und hinab. Die Neugierde wächst. Endlich zeigt die Kamera, wie eine der Taschen Straßenniveau erreicht: Ein Mann legt zwei Laib Brot und Wechselgeld hinein. Und schon geht es wieder los, hinauf zum anderen Ende der Leine. Dort nimmt eine Frau am Balkon das Lebensmittel in Empfang. Quasi ein kubanischer Brotlift.

Erst vor wenigen Wochen entstand dieser kurze Film von Anna Jermolaewa in Havanna. Es ist dieser Blick auf ein Detail des Alltags, der so typisch ist für das Werk der Künstlerin, deren aktuellste Arbeiten (alle entstanden 2013) derzeit in der Galerie Kerstin Engholm präsentiert werden.

Trotz der Banalität sind diese Bilder Jermolaewas so vielsagend, erzählen von den Strukturen der Gesellschaft ebenso wie von den Nöten der Menschen. Kofferräume und ganze Pkws voller Melanzani, Karfiol, Melonen oder Zwiebel setzte sie in der Fotoserie Volga (2008) in Szene; lustige Schnappschüsse, die den Gemüseverkauf direkt aus den Kofferräumen russischer Autos dokumentieren. Oder das Video Step Aside (2006/08), das die über den Flohmarkt am Naschmarkt walzende Kehrmaschine zeigt. Die letzten Reste, die hier beseitigt werden, waren fünf Minuten zuvor noch Ware.

Auch das Verhalten der Tiere beobachtet Jermolaewa stets genau, nutzt sie zu Metaphern über das Leben. Saßen in Good times, bad times (2007) Tauben am liebsten auf waagrecht stehenden Uhrzeigern, so sind die Vögel nun neuerlich ihre Stars. "The Holy Place is never empty", kommentiert sie die Tatsache, dass die Tauben eine leerstehende Nische der mit Skulpturen geschmückten Kölner Domfassade besetzen. Eine Arbeit, über die man ebenso schmunzeln muss wie über die Porträtserie der Katzen im Dienst der Eremitage in St. Petersburg. Seit mehr als 250 Jahren schützen Museumsmiezen die Kunstschätze vor Mäusezähnen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 4.7.2013)