Arkadi & Boris Strugatzki: "Kapitän Bykow"
Broschiert, 380 Seiten, € 17,40, Golkonda 2013 (Original: "Путь на Амальтею", "Стажеры", 1960-62)
"Der Kosmos ist schließlich für die Arbeit da und nicht zum Vergnügen", heißt es in "Praktikanten", einer der beiden hier versammelten Erzählungen. Und auch wenn dahingestellt sei, wie ernst oder ironisch das an dieser Stelle gemeint ist, macht es sich als Motto gar nicht schlecht. Nur zu gern buttern SF-AutorInnen allen verfügbaren Sense of Wonder hinein, wenn sie die Wunder des Weltraums beschreiben. Nur selten aber endet dies so prosaisch wie die Eröffnungspassagen von "Der Weg zur Amalthea". Nach zweiseitigem kosmischen Schwelgen heißt es plötzlich: Leider kann man sich den Aufgang des Planeten nur selten bis zur letzten Phase anschauen. Der Jupiter lässt sich dabei zu viel Zeit, und man muss arbeiten gehen.
Schon im Hauptwerk der russischen SF-Starautoren Arkadi & Boris Strugatzki, dem Romanzyklus um die "Welt des Mittags" im 22. Jahrhundert, ist mir immer wieder positiv aufgefallen, wie glaubhaft dort Arbeitswelten beschrieben werden. Was bei anderen AutorInnen oft kulissenhaft wirkt und ein reines Plot-Vehikel ist, um dann zum eigentlichen Romanthema zu kommen (selbstverständlich etwas viel Spektakuläreres, das jenseits des Jobs liegt), kommt hier als das rüber, was es ist: Ein System von Abläufen, die einen wesentlichen Teil des Tages mit Beschlag belegen und bitteschön auch möglichst gut erledigt sein wollen. Fantastische Entdeckungen und Heldentaten ergeben sich höchstens nebenbei.
Der Kontext
Die beiden in "Kapitän Bykow" versammelten Erzählungen, eine Novelle und ein Roman, sind Mittel- und Abschlussteil einer Trilogie, die 1959 mit "Atomvulkan Golkonda" begonnen hatte - also dem Namensgeber des Verlags, der diese Frühwerke zusätzlich zur großen Strugatzki-Gesamtausgabe in neubearbeiteter Übersetzung noch einmal aufgelegt hat. Offiziell gehören sie nicht zur "Welt des Mittags", auch wenn sie in manchen Aufzählungen als Prequels geführt werden. Zeitlich sind sie ein gutes Jahrhundert davor angesiedelt, in einer Ära der Weltraum-Pioniere.
Doch diese Ära, verkörpert in Person der Hauptfigur Alexej Bykow, Kapitän des Raumfrachters "Tachmansib", geht langsam zu Ende. In der Novelle "Der Weg zur Amalthea" steht Bykow noch so wie zuvor in "Atomvulkan Golkonda" im Mittelpunkt. Im Episodenroman "Praktikanten" hingegen tritt er in den Hintergrund zurück, andere rücken nach. Der junge Vakuumschweißer Juri Borodin, der auf der "Tachmansib" anheuert, nachdem er seine Passage zum Saturnmond Rhea verpasst hat, steht gleichsam stellvertretend für den Generationswechsel. Bykows alte Crew zerbröselt indessen: Einer durfte auf der vielleicht letzten Mission gar nicht mehr mitfliegen, weil er zu alt ist. Ein anderer nimmt inzwischen eine hohe Funktion in der Weltraum-Verwaltung ein und möchte sich bloß noch in ein letztes Abenteuer stürzen. Und ein dritter wird am Ende zur Einsicht gelangen, dass der Weltraum nichts mehr für ihn ist. Ganz so wie die Strugatzkis selbst, die danach das Kapitel Space Opera zuschlugen.
Zur Handlung
"Amalthea" dreht sich darum, dass die "Tachmansib" zu einer Station geschickt wird, auf der eine Hungersnot droht, dann aber in einen Meteoritenschauer gerät und auf den Jupiter zustürzt. Klingt spektakulärer, als die bewusst antiheroisch gehaltene Geschichte ist. Hätte sie nicht Novellenlänge, hätte sie genausogut als weitere Episode in das in jeder Beziehung viel interessantere "Praktikanten" eingebaut werden können.
In Letzterem klappern Bykow & Co diverse Etappenziele auf ihrem Rundflug durchs Sonnensystem ab. Es wird gegen fliegende Riesen-Egel auf dem Mars gekämpft, eine unerwartete Entdeckung in den Saturnringen gemacht und - in der Erstausgabe des Romans nicht enthalten - noch einmal beim Atomvulkan auf der Venus vorbeigeschaut. Vor allem aber tauchen wir in die diversen Arbeitswelten der Menschen, die da draußen im Sonnensystem am Schaffen sind, ein. Zwischen denen es bezeichnende Unterschiede gibt, dazu gleich mehr.
Produkt seiner Zeit
Dass die Erzählungen inzwischen ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben, merkt man natürlich an allen Ecken und Enden. Nicht nur an den optimistischen Fehlannahmen über Leben auf dem Mars und andere astronomische Fakten, sondern auch an herrlich veraltet wirkenden Ausdrücken wie Radiofon, Stratoplan oder ... Atom-PKW. (Und ich möchte auch mal ein Ionenbrausebad nehmen! Oder vielleicht auch nicht.) Vermutlich bräuchten junge LeserInnen langsam auch ein Glossar für real existiert habende Begriffe wie Sowchose und Dispatcher.
Dass die Bykow-Erzählungen Zeitdokumente sind, merkt man vor allem aber daran, dass der Kampf der Ideologien hier noch ein ganz großes Thema ist. Zwar hat der Kommunismus gegenüber dem Kapitalismus eindeutig die Nase vorn, aber in Teilen der Welt und des Sonnensystems recken Gewinnstreben und Geldwirtschaft immer noch ihr hässliches Haupt.
"Wozu ist einer nutze, wenn er seine Arbeit lustlos verrichtet?"
Zwei direkt aufeinander folgende Episoden illustrieren die ideologisch geprägte Darstellung besonders deutlich: Im Weltraum-Observatorium Eunomia forschen prächtige Vertreter der neuen post-kapitalistischen Gesellschaft mit derartigem Enthusiasmus vor sich hin, dass einem nur so der Kopf schwirrt. Überhaupt sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, was für ein Vergnügen einem der quirlige Stil der Strugatzkis beim Lesen bereitet!
Demgegenüber dreht sich auf dem Minen-Asteroiden Bamberga alles um persönlichen Gewinn - dementsprechend präsentieren sich die hier Lebenden als aggressiv, neurotisch und ausgebrannt. Zumindest bis Generalinspektor Wladimir Jurkowski dreinschlägt. Wenn der das Bamberga-System zum Wohle der Beteiligten umkrempelt, bekommt man eine ungefähre Ahnung davon, wie die Tea Party die Obama-Administration wahrnehmen muss.
Kapitalismus ist von gestern
Während die Strugatzkis später immer wieder Scherereien mit der Sowjet-Zensur bekamen, hatten sie sich in den Bykow-Geschichten noch nicht wirklich von den ideologischen Vorgaben gelöst. Übersetzer Erik Simon findet dazu im Nachwort eine bezaubernd freundliche Formulierung: (...) sie haben manche Klassenkampf-Klischees, die im Bewusstsein aller ihrer sowjetischen Zeitgenossen fest verankert waren, nicht vermeiden können, nicht zuletzt aus Mangel an eigener Anschauung. Was genau genommen aber auch nichts Besonderes ist: Kleine gönnerhafte Sticheleien gegen Anhänger der "anderen Seite" finden ihre exakte Entsprechung in dem, was sich Chekov auf der "Enterprise" immer wieder mal anhören musste ...
Aber Achtung vor Selbstgefälligkeit beim Blick durch die Historiker-Brille - die Strugatzkis geben einem genug zum Drübernachdenken mit auf den Weg. Auf Arbeit wird in "Praktikanten" nicht nur herumgeblödelt oder an Problemlösungen getüftelt, sondern auch sehr, sehr viel philosophiert. Schließen wir mit einem schönen Zitat aus dem Dialog eines unternehmerisch veranlagten westlichen Barkeepers mit einem Mitglied von Bykows Crew: "Und ich will ebenfalls kein Diener sein, sondern Herr." - "Ein bisschen was haben Sie schon begriffen, Joyce", erwiderte Iwan nachdenklich. "Sie wollen kein Diener sein. Nun müssen Sie bloß noch eine Kleinigkeit schaffen - nämlich den Wunsch besiegen, Herr zu werden."