Rom - Italiens siebenmaliger Ministerpräsident Giulio Andreotti hat nach Einschätzung von Richtern bis Anfang der 1980er Jahre Kontakte zu sizilianischen Mafiosi. Später habe er jedoch die Gefährlichkeit dieser Beziehungen eingesehen und jegliche Verbindung zur Cosa Nostra unterbrochen, geht aus der Urteilsbegründung des Berufungsgerichts in Palermo hervor, die am Freitag veröffentlicht wurde. Andreotti war im vergangenen Mai vom Verdacht der Mafia-Zugehörigkeit freigesprochen worden.

Andreotti habe bis zum Frühjahr 1980 eine "echte, stabile und freundschaftliche Offenheit gegenüber Mafiosi gezeigt". Die Indizien, welche die Staatsanwaltschaft von Palermo über die Beziehungen zwischen Andreotti und prominenten Mafiosi vor dem Jahr 1980 vorgewiesen habe, seien fundiert, gaben die Richter zu. Sie schlossen jedoch aus, dass Andreotti nach 1980 aktiv gehandelt habe, um die Mafia zu fördern. Auf Grund dieser Tatsache sei der Senator auf Lebenszeit freigesprochen worden.

Andreotti habe von seinen Kontakten zur Mafia eine "allgemeine Wahlunterstützung" erhalten

Vor dem Jahr 1980 habe Andreotti freundschaftliche Beziehungen zum "gemäßigteren Flügel" der Cosa Nostra und insbesondere mit den Mafia-Paten Stefano Bontade und Gaetano Badalamenti gepflegt. Diese seien durch die Freundschaft zwischen Andreotti und den sizilianischem Politiker Salvo Lima gefördert worden. Von seinen Kontakten zur Mafia habe Andreotti eine "allgemeine Wahlunterstützung" erhalten, ließt man in der 150-seitigen Urteilsbegründung.

Laut den Richtern habe Andreotti ein "persönliches Interesse" gehabt, gute Beziehungen zur Mafia zu pflegen. Christdemokratische Politiker hätten nämlich das "mafiöse Phänomen unterschätzt". Erst später habe Andreotti die tatsächliche Gefährlichkeit der Cosa Nostra für die staatlichen Institutionen eingesehen. Dies sei vor allem nach dem Mord an dem Präsident der Region Sizilien Piersanti Mattarella im Jahr 1980 gewesen. Seitdem habe sich Andreotti aktiv bei der Bekämpfung der Mafia eingesetzt. Als Ministerpräsident habe er 1992 wichtige Anti-Mafia-Gesetze verabschiedet, die laut den Richtern für die Resultate im Kampf gegen das organisierte Verbrechen entscheidend gewesen seien, betonten die Richter.

Im April 2002 begann Berufungsprozess gegen Andreotti

Der Berufungsprozess gegen Andreotti hatte im April 2001 begonnen. Erstinstanzlich war der Politiker vom Vorwurf der Mafia-Zugehörigkeit freigesprochen worden. Andreotti hatte im Zuge des Verfahrens wiederholt erklärt, der Staatsanwaltschaft sei es nicht gelungen, auch nur den "Hauch eines Beweises" zu präsentieren. Laut der Staatsanwaltschaft, die 1993 Mafia-Ermittlungen gegen Andreotti eingeleitet hatte, sei der Politiker mitverantwortlich dafür, dass es über Jahre hinaus einen "schändlichen Pakt zwischen Politik und Mafia" gegeben habe.

Die wichtigsten Zeugen der Anklage waren ehemalige Mafia-Bosse, deren Glaubwürdigkeit im Zuge des Verfahrens von der Verteidigung erheblich erschüttert wurde. Beim Marathonprozess in Palermo war es im Kern um den Vorwurf gegangen, Andreotti habe sich als Regierungschef in den 80er Jahren in höchsten Justiz-Kreisen für milde Urteile in Mafia-Prozessen eingesetzt. Im Gegenzug habe die Cosa Nostra bei Wahlen auf Sizilien für Wählerstimmen für seine christdemokratische Partei gesorgt.

Andreotti war als mutmaßlicher Auftraggeber des Mordes an dem Journalisten Mino Pecorelli im Jahr 1979 im vergangenen November zu 24 Jahren Haft verurteilt worden. Er reichte beim Kassationsgericht in Rom Einspruch gegen das Urteil ein. (APA)