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Protest gegen die Anwesenheit bewaffneter Milizen auf dem Algerien-Platz in Tripolis, 7. Juli 2013.

Foto: EPA/SABRI ELMHEDWI

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Tawergha, wo zehntausende dunkelhäutige Libyer lebten, ist zwei Jahre nach dem Bürgerkrieg eine Geisterstadt: Es gibt zwar Verhandlungen über eine Rückkehr, diese haben sich aber bis dato noch nicht konkretisiert, berichtet Wirtschaftsdelegierter Bachmann. Das Bild wurde im Februar 2013 aufgenommen.

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NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen empfing Ende Mai Premierminister Ali Zeidan. Politologe Schlumberger über das Verhältnis ziwschen den ehemaligen Waffenbrüdern: "Obwohl der Einsatz militärisch gesehen ein Erfolg war, habe ich den Eindruck, dass man bei der NATO über die Beratungsresistenz der libyschen Staatsorgane ziemlich frustriert ist."

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Zwei Jahre nach der libyschen Revolution ist die Sicherheitslage in manchen Landesteilen weiter bedenklich. Der österreichische Öl- und Gaskonzern OMV gab am Dienstag bekannt, dass wegen der angespannten politischen Lage seit 25. Juni ein Großteil der Produktion unterbrochen sei.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof stoppte am Mittwoch Abschiebungen von Malta in das nordafrikanische Land. In einer aktuellen Transparency-Umfrage äußerten 46 Prozent der Befragten die Ansicht, dass die Korruption seit der Revolution zugenommen habe.

Innenministerium besetzt

In der Hauptstadt Tripolis kommt es in regelmäßigen Abständen zu Protesten gegen bewaffnete Milizen, die sich weigern, Anordnungen der Regierung Folge zu leisten; Anfang Juli wurde sogar das Innenministerium besetzt, um die Auflösung des "Obersten Sicherheitskomitees" zu erreichen. Diese Gruppe besteht aus ehemaligen Rebellen, die besser bewaffnet sind als Polizei und Militär und sich weigern, deren Anordnungen Folge zu leisten.

David Bachmann, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Libyen, bestätigt, dass vor allem im Osten des Landes Milizen und generelle Kriminalität ein Problem darstellen: Von dort hört er, dass jede Nacht Polizeistationen angegriffen oder Bomben gelegt werden.

Uniformen und Sold für Milizen

Im Westen Libyens und in der Hauptstadt, wo Bachmann als Wirtschaftsdelegierter hauptsächlich unterwegs ist, sei die Sicherheitslage besser. Etwa alle drei bis vier Wochen komme es aber auch in Tripolis zu Gefechten zwischen rivalisierenden Milizen. Premierminister Ali Zeidan versprach zwar, in Zukunft werde "niemand mehr Waffen tragen, wenn er nicht in der Armee oder Polizei ist". In der Praxis beschränken sich die Entwaffnungsbemühungen aber darauf, dass Zeidan in die betroffenen Gebiete fährt und dort publikumswirksam erklärt, dass die dortigen Milizen jetzt zur Nationalarmee gehören und Uniformen sowie Sold erhalten, berichtet Bachmann.

Der Tübinger Politikwissenschaftler Oliver Schlumberger sieht ein Legitimitätsproblem der libyschen Regierung: Eine umstrittene Änderung des Wahlgesetzes hat bewirkt, dass islamistische Bewegungen kaum Einfluss im Nationalkongress haben, und das auf Druck bewaffneter Milizen verabschiedete Isolationsgesetz, das Amtsträger aus der Gaddafi-Zeit von Regierungsämtern ausschließt, hat viele nicht zufriedengestellt. Es gibt keine legitimen staatlichen Institutionen, die von allen Akteuren anerkannt würden.

Nationalgarde soll dem Ministerpräsidenten unterstehen

Das Angebot der britischen Regierung, 2.000 Soldaten der libyschen Armee die Teilnahme an einem zehnwöchigen Infanteriekurs zu ermöglichen, sieht Schlumberger als Tropfen auf dem heißen Stein. Das Vorhaben, eine von der NATO ausgebildete und bewaffnete Nationalgarde zu rekrutieren, die allein vom Ministerpräsidenten kommandiert werden soll, bezeichnet er als widersinnig: Erforderlich seien Streitkräfte, die dem Kongress unterstellt seien.

Im Unterschied zu anderen ehemaligen Bürgerkriegsschauplätzen, wo demilitarisierte Kämpfer oft schwer Arbeit finden und in die Kriminalität abrutschen, nimmt die libysche Regierung allerdings durch Ölexporte jeden Tag 80 Millionen Dollar (62 Millionen Euro) ein. Sie kann es sich also leisten, jedem Libyer zum Ende des Fastenmonats Ramadan die stolze Summe von 2.000 Dinar (fast 1.200 Euro) zu versprechen, seit einigen Monaten wird auch das neue Kindergeld ausbezahlt. Theoretisch wäre es möglich, meint Schlumberger, die Öleinnahmen gerecht unter den gut fünfeinhalb Millionen Libyern zu verteilen.

Seit dem Sturz Muammar al-Gaddafis wurde allerdings keine einzige Lizenz zur Ausbeutung neuer Ölvorkommen vergeben, in die Instandhaltung der Förderanlagen wird kaum noch investiert, berichtet Bachmann. Langfristig droht die Fördermenge also drastisch zu sinken, wenn bestehende Ölfelder versiegen.

Kein Geld für den Wiederaufbau Sirtes

Die Beseitigung der Kriegsschäden ist in Teilen Libyens in vollem Gang: Die ehemalige Rebellenhochburg Misurata erstrahlt in altem Glanz, berichtet Bachmann. Anders sieht es in den Städten aus, in denen viele Anhänger Gaddafis lebten: In Sirte, dem Geburtsort des gestürzten Diktators, werden einzelne beschädigte Gebäude in Privatinitiative renoviert, für die Reparatur zerstörter Straßen und öffentlicher Einrichtungen gibt Libyens Regierung entgegen immer wiederkehrenden Ankündigungen derzeit noch kein kein Geld aus. "Wenn Sie nach Beni Walid sehen, wird Ihnen schlecht: Immer noch sind dort alle öffentlichen Gebäude zerschossen, und von der dortigen Bevölkerung hört man, früher sei vieles besser gewesen."

Am Beispiel der Stadt Tawergha, in der vor dem Bürgerkrieg 24.000 Menschen lebten, erkennt man, dass es auch in der libyschen Gesellschaft Rassismus gibt: Dass Gaddafi-treue Truppen aus der Stadt, in der großteils Schwarze lebten, Artilleriegeschoße und Raketen auf die Rebellenhochburg Misurata abfeuerten, wurde zum Anlass genommen, die dortige Bevölkerung zu vertreiben. Im Gegensatz dazu war es in Zliten, von wo ebenfalls Geschütze auf Misurata feuerten, bald klar, dass "alle immer schon gegen Gaddafi waren", und es kam nach dessen Sturz zu Versöhnungsfeiern, so Bachmann. (Bert Eder, derStandard.at, 12.7.2013)