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Polens Oberrabbiner Michael Schudrich beim Anbringen einer Mesusa am Eingang zum Museum für die Geschichte der Juden im April. Das jetzt bestätigte Schächtverbot ist für ihn Ausdruck der Verachtung.

Foto: AP/Sokolowski

"Freitag vergangener Woche wird in die Geschichte Polens als der schlimmste Tag für die polnisch-jüdische Diaspora in den letzten 30 Jahren eingehen", sagt Polens Oberrabbiner Michael Schudrich. "Wenn die Abgeordneten die Religionsfreiheit für die polnischen Juden und Muslime nicht wieder herstellen, werde ich von meinem Amt als Oberrabbiner zurücktreten." Der 58-jährige New Yorker, der seit einigen Jahren auch die Staatsbürgerschaft Polens besitzt, ist zutiefst enttäuscht von den Parlamentariern, die er zum Teil persönlich kennt: "Ich kann nicht Oberrabbiner sein in einem Land, das die Juden verachtet."

Mit 222 gegen 178 Stimmen verwarfen Polens Abgeordnete am Freitag das Gesetzesprojekt der liberalkonservativen Regierung, mit dem das Schlachten nach den religiösen Vorschriften von Juden und Muslimen wieder erlaubt werden sollte. Im November 2012 hatte das polnische Verfassungsgericht auf Antrag von Tierschützern entschieden, dass das Schlachten ohne vorherige Betäubung in Polen verfassungswidrig sei. Ausschlaggebend, so die Richter, sei das Tierschutzgesetz von 2002. Nur der Gesetzgeber könne über eine Ausnahme entscheiden.

Der Abstimmung im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, war eine monatelange Kampagne gegen die angeblich grausame jüdische Schlachtmethode vorausgegangen, der sich auch die links-liberale Gazeta Wyborcza angeschlossen hatte. Am Ende setzte Polens Regierungspartei, die liberalkonservative Bürgerplattform, eine "Gewissensabstimmung" gegen die sonst übliche Fraktionsdisziplin durch. Diese endete mit einer Bestätigung des Schächtungsverbots.

Davor hatten Schudrich und Piotr Kadlcik, der Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes in Polen, vergeblich darauf gedrängt, zu der Debatte zumindest zugelassen zu werden. Doch es gelang nicht einmal, das korrekte Wort "Schechita" für das Schlachten mit einem einzigen Schnitt durch Luft- und Speiseröhre und die Hauptschlagader durchzusetzen. Polens Politiker und Publizisten blieben bei dem Wort "Ritual-Schlachtung", das Assoziationen mit dem Wort "Ritual-Mord" weckt. Noch 1946 hatten polnische Katholiken heimkehrende Holocaust-Überlebende in einem Pogrom getötet, weil diese angeblich planten, ein Christenkind zu töten und dessen Blut im Keller ihres Hauses zu Matzenbrot zu verarbeiten: ein altbekannter, erfundener Vorwurf gegen Juden.

"Lebe nicht mehr unter uns"

Die Antwort auf das fortgesetzte Schächtungsverbot ließ nicht lange auf sich warten. "Es siegte die falsche Vorstellung von einer Schlachtmethode, die absichtlich grausam sei. Diese Vorstellung gewann in den 1930er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts an Popularität, unter dem Einfluss der Nazi-Propaganda", schrieben Schudrich und Kadlcik in einer Erklärung. In New York publizierte die Antidiffamierungsliga (ADL) ihre Kritik an Polen. "Die Mehrheit der polnischen Abgeordneten lässt der polnisch-jüdischen Gemeinschaft die Wahl zwischen drei Möglichkeiten", erklärte ADL-Direktor Abraham Foxman. "Praktiziere deine Religion nicht mehr! Iss kein Fleisch mehr! Oder: Lebe nicht mehr unter uns!"

Zudem basiere das Urteil der Abgeordneten auf der Behauptung, dass das Schächten für das Tier schmerzhafter als die Betäubung durch einen Bolzenschuss in die Stirn, durch Elektroschocks oder Gas sei, wie sie in herkömmlichen Schlachthäusern stattfindet. Das sei heuchlerisch und bestätige die regelmäßigen Umfragen des ADL in Polen. Mit knapp 50 Prozent Befürwortung antisemitischer Stereotypen gebe es in Polen ein über Jahre konstant hohes Niveau des Antisemitismus.

Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, zeigte sich in einer am Samstag in Brüssel veröffentlichten Stellungnahme "ungeheuer enttäuscht". Besonders verstörend sei, dass in der Parlamentsdebatte das Schächten von Tieren als "fremd in der polnischen Kultur" bezeichnet worden sei. Wlodzimierz Czarzasty vom Bündnis der demokratischen Linken, die für das Verbot gestimmt hatten, bezeichnete die Kritik jüdischer Organisationen "hysterisch und dumm". Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit, feierte die Entscheidung: "Gesiegt haben die anständigen Menschen!" (Gabriele Lesser, DER STANDARD, 16.7.2013)