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Unbemannte Flugobjekte: Spione in der Luft oder autonome Helfer in Katastrophengebieten? Wissenschafter wollen mögliches Fehlverhalten von Drohnen reduzieren.

Foto: Corbis

Mit einem aufbrausenden Brummen schießen die zwei Quadrocopter in die Höhe. Während der eine abzuwarten scheint, ist der andere schon über dem Dach der Lakeside Labs verschwunden. Ihre Mission: in möglichst kurzer Zeit einen Überblick über das Areal zu schaffen. Dazu haben die Mini-Helikopter mit den vier Propellern Kameras um den Bauch geschnallt, die per WLAN ständig Fotos Richtung Boden streamen - wo sie sich am Computer oder am Handy wie ein Puzzle in Echtzeit zu einem Luftbild zusammensetzen, bei Bedarf auch in eine hochauflösende 3-D-Rekonstruktion.


Video: Drohnen-Verbände der Lakeside Labs Austria bei der "Arbeit" (Quelle: LakesideLabsAustria/Youtube)

Zumindest wenn alles nach Plan läuft. Während der Demonstration vergangene Woche in Klagenfurt stürzt kurzfristig das System ab, und die aufgepimpten Modellflieger müssen wieder nach unten geholt werden. Auch wenn vieles noch nicht ganz rund läuft: Die Forscherinnen und Forscher, die an den Lakeside Labs an der Entwicklung unbemannter Drohnen arbeiten, sind davon überzeugt, dass in Zukunft Schwärme von autonom agierenden, intelligenten Flugkörpern die Lüfte erobern werden. Nicht etwa, um damit die Hightech-Kriegsführung voranzutreiben - derzeit das heftig umstrittene Haupteinsatzgebiet von Drohnen -, sondern um Menschen in Katastrophengebieten ausfindig zu machen, Lecks in Pipelines aufzuspüren, Bergbauern dabei zu helfen, ihre Schafe zu zählen. Gerne werden das Erdbebengebiet von Haiti oder das Nukleardesaster von Fukushima angeführt, um den Nutzen von Drohnen zu demonstrieren.

Um möglichst nicht an das negative Image der militärisch genutzten Killerdrohnen anzustreifen, bevorzugen Wissenschafter den Begriff "unmanned aerial vehicles" (UAVs, unbemannte Luftfahrzeuge). Vergangene Woche fanden sich internationale Experten am Wörthersee ein, um sich bei den diesjährigen "Research Days" der Lakeside Labs über den Stand der Forschung und neue Ansätze auf dem Gebiet der fliegenden Roboter auszutauschen.

Google Earth in Echtzeit

"Unser Ziel ist es, autonom agierende Systeme zur Beobachtung aus der Luft zu entwickeln, die die Feuerwehr und andere Blaulichtorganisationen im Katastrophenfall unterstützen", sagt Christian Bettstetter, Leiter des Instituts für vernetzte und eingebettete Systeme der Uni Klagenfurt und wissenschaftlicher Leiter der Lakeside Labs. "Man kann sich das als eine Art Google Earth in Echtzeit vorstellen." Weil nach Bränden, Überschwemmungen, Taifunen und Erdbeben jede Minute zählt, setzen die Forscher auf Geschwader von Drohnen, die großräumige Gebiete absuchen können.

Derzeit füttert die Software die Quadrocopter mit den kürzesten Flugrouten und den Punkten, an denen sie fotografieren sollen - bevor sie ausschwärmen. Der Forschungsschwerpunkt liegt aber darauf, wie die Drohnen künftig miteinander kommunizieren, sich selbstständig koordinieren und Entscheidungen treffen können, ohne ständig von einem Haufen Techniker und Informatiker kontrolliert und gesteuert zu werden. Das ist vor allem dann nötig, wenn sie in unbekannte, zerstörte Gefilde vorstoßen und sich an die Umstände anpassen müssen.

Bis dahin dürfte es aber noch ein weiter Weg sein: "Zuerst muss ein einzelnes Gerät zuverlässig funktionieren, bevor man beginnen kann, Schwärme einzusetzen", sagt Roland Siegwart, Vizepräsident für Forschung an der ETH Zürich und Leiter des dortigen Labors für autonome Systeme. Mit seinem Team arbeitet er daran, robuste Drohnen zu entwickeln, die möglichst lange Flüge bewältigen können. Im Sommer 2014 soll erstmals ein unbemanntes Solarflugzeug mit einer Flügelspannweite von mehr als fünf Metern den Atlantik überqueren.

Während sich UAVs mit Flügeln besser für großflächige Aufklärungsflüge eignen, können rotorbetriebene Mini-Helikopter wendiger durch enge Straßen und Gebäude manövrieren. Damit sie das ohne menschliche Fernsteuerung schaffen, sind noch viele technologische Hürden zu überwinden, war man sich bei den Research Days einig: Die Energiereserven und das Ladegewicht der Drohnen sind beschränkt, zugleich sind hohe Rechenleistungen an Bord nötig, wenn man sich nicht ständig auf unsichere Funkverbindungen zu einer Bodenstation verlassen will und die aufgenommenen Bilder und Sensordaten sofort interpretiert und mit anderen UAVs ausgetauscht werden sollen. Noch gibt es keine ausgereiften Lösungen zur Vermeidung von Kollisionen, und auch die exakte Positionsbestimmung, für die je nach System GPS, Kameras und Bewegungssensoren kombiniert werden, stellt für die Forscher noch eine Herausforderung dar.

Ashutosh Natraj, seit kurzem an der Oxford University, verzichtet auf teure Sensoren und setzt auf eine einzige Kamera mit 360-Grad-Rundumsicht zur Navigation. "GPS ist viel zu ungenau, vor allem in Innenräumen oder wenn Gebäude das Signal verzerren."


Video: Ashutosh Natrajs Drohnen kommen ohne teure Sensoren und GPS aus (Quelle: Ashutosh Natraj/Youtube).

Nach Überlebenden fahnden

Die von ihm entwickelten Drohnen ermitteln ihre Position rein visuell anhand des Horizonts zwischen Boden und Himmel und lassen sich im Stadtgebiet von Linien an Gebäuden und Straßenzügen leiten. "In einem früheren Projekt haben wir erprobt, wie ein UAV zu einem Diabetespatienten, der im Stau steckt, fliegt und ihm seine Insulindosis reicht", erzählt Natraj. Genauso könnten Drohnenschwärme in eingestürzten Häusern nach Überlebenden fahnden.

Dass all diese Technologien auch dem Militär in die Hände spielen und vom Staat zur automatisierten Überwachung und Verfolgung von Personen genutzt werden könnten, wird von den Forschern eher abgewiegelt. "Alle Technologien können auch negativ genutzt werden", sagt Roland Siegwart. "Ich hoffe, dass der positive Nutzen überwiegt." Auch Ashutosh Natraj hofft, dass Eltern spätestens 2050 ihren Kindern per Drohne die Lunchbox in die Schule nachschicken können, statt sie heimlich zu observieren. "Ich gehe davon aus, dass es bis dahin gute Gesetze gibt."

Nach Klagenfurt gereist ist auch Phil Charlesworth, Forscher beim europäischen Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS. Er entwickelt im britischen Wales Algorithmen für Drohnenschwärme, die auf der Spieltheorie basieren. Was bedeutet, dass die einzelnen Drohnen nicht miteinander kooperieren, sondern konkurrieren sollen, um den maximalen Erfolg zu erreichen. "Wir wollen autonome UAVs nutzen, um etwa nach einer Flutkatastrophe, bei der die terrestrische Infrastruktur zerstört ist, ein Kommunikationsnetzwerk in der Luft zu etablieren. Jede Drohne soll dabei möglichst viele Handys orten und sie mit dem Mobilfunknetz verbinden."

Für Charlesworth sind die fehlenden gesetzlichen Regelungen für unbemannte Flugobjekte ein "Killer" für die Entstehung eines zivilen Marktes - der derzeit praktisch nicht vorhanden ist, während der Markt für militärische Späh- und Kampfdrohnen regelrecht boomt. Derzeit schweben zivile Drohnen noch weitgehend im gesetzesfreien Raum. Zwar gibt es nationale Gesetzesinitiativen, die schon bald den Luftraum unter bestimmten Bedingungen für zivile Drohnen öffnen (in Österreich ab 2014). Doch viele Fragen, vor allem was Datenschutz, Sicherheit und Haftungsfragen bei Unfällen betrifft, sind noch völlig offen.

"Wenn es ausfallsichere Systeme gibt, wird auch das Vertrauen der Öffentlichkeit steigen", ist Ashutosh Natraj überzeugt. In Oxford erarbeitet er derzeit Standards zur Fehlervermeidung von Drohnen. Ungewiss bleibt, ob Schwärme von Mini-Drohnen Menschenleben retten und den Pizzaboten ersetzen werden können - ohne dabei Big-Brother-Albträume wahr werden zu lassen. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 17.7.2013)