SLP-Spitzenkandidatin Sonja Grusch (re.) und Tilman M. Ruster.

Foto: Olja Alvir

Die Sozialistische Linkspartei (SLP) will das Wahlrecht für alle und sieht sich als Vertreterin einer kämpfenden Generation. Warum eine sozialistische Revolution nötig ist und weshalb die FPÖ die Verantwortung für die Schwarzarbeit trägt, erklären Spitzenkandidatin Sonja Grusch und Tilman M. Ruster am Schauplatz der Flüchtlingsproteste vor der Votivkirche in Wien.

daStandard.at: Warum hat die SLP Kandidaten auf der Liste, die gar kein Wahlrecht in Österreich besitzen? Herr Ruster ist deutscher Staatsbürger, außerdem kandidiert der pakistanische Flüchtlingsaktivist Muhammad Numan.

Grusch: Wir lehnen es ab, dass die Rechte von Menschen durch ihr Blut bestimmt werden. Das ist eine überkommene und zutiefst reaktionäre Art, Menschen einzustufen. Wir sind der Meinung, dass jeder, der in Österreich seinen Lebensmittelpunkt hat, das Recht haben sollte mitzuentscheiden.

Das gilt für Leute, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben, es gilt aber auch für Jugendliche, die in Österreich erst ab 16 wählen dürfen, während sie schon mit 15 dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen. Das wollen wir mit unserer Liste ausdrücken, und deswegen kandidieren wir auch mit Menschen, die diesen willkürlich festgelegten formalen Kriterien nicht entsprechen.

daStandard.at: Flüchtlingsrechte und Migration sind Ihrer Partei besondere Anliegen. Was halten Sie vom neuen Staatsbürgerschaftsgesetz?

Grusch: Es bedeutet nichts anderes, als dass man sich die österreichische Staatsbürgerschaft kaufen muss. Außerdem ist der Erwerb mit enormen bürokratischen Hürden versehen. Menschen müssen auf Knien dafür kriechen, dass sie Rechte bekommen, die eigentlich menschliche Grundrechte sind. Warum wird jemand, nur weil er den "falschen" Pass hat, von geförderten Wohnungen, Sozialleistungen und Recht auf Arbeit ausgeschlossen? Absurd. Das ist ein wirklich rassistischer Zugang, und da hat sich durch das neue Staatsbürgerschaftsrecht nichts verändert.

daStandard.at: Die Argumentation ist, dass sich nichts verschlechtert habe. Es sei nur für manche, die den Anforderungen genügen, möglich geworden, die österreichische Staatsbürgerschaft früher zu erlangen.

Grusch: Migranten werden nicht als Menschen, sondern als bare Arbeitskraft gesehen. Nur wenn sie jung, gesund, entsprechend ausgebildet und am besten noch ohne Familie sind, sind sie für den österreichischen Arbeitsmarkt interessant. Die österreichische Politik setzt die Interessen der österreichischen Wirtschaft eins zu eins um, und entsprechend ist das Staatsbürgerschaftsgesetz darauf ausgelegt.

daStandard.at: "Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg" - was können Sie mit diesem Satz anfangen?

Ruster: Es gibt viele Menschen, die in Österreich arbeiten, ohne eine Erlaubnis dafür zu haben. Und es ist gewollt, dass sie hier schwarz arbeiten, weil sie auf diese Weise keinen Zugang zu gewerkschaftlichen Organisationen und Arbeiterrechten haben. Sie werden massiv ausgebeutet.

Grusch: Jeder, der gegen gleiche Rechte für Migranten am Arbeitsmarkt ist, will Schwarzarbeit, will Migranten als Lohndrücker einsetzen. Alle, die so tun, als würden sie sich schützend vor die österreichischen Beschäftigten stellen, wie die FPÖ beispielsweise. Das sind die, die ein Interesse daran haben, dass Leute zu Billiglöhnen in miesen Arbeitsbedingungen und ohne soziale Absicherung arbeiten. Das sind die, die schuld sind an Schwarzarbeit. Man muss klar sagen: Die FPÖ ist schuld an Schwarzarbeit.

daStandard.at: Stichwort Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven - leben wir in einem Zeitalter der verlorenen Generation?

Ruster: Wir leben in einem Zeitalter der kämpfenden Generation. Wir müssen eine kämpfende sein, um keine verlorene zu sein.

daStandard.at: Sie plädieren für einen Systemwechsel und verfügen über ein Wahlkampfbudget von 5.000 Euro. Wie soll eine "sozialistische Revolution" unter kapitalistischen Umständen stattfinden?

Grusch: Der gesellschaftliche Wandel ist nicht so utopisch, wie man vielleicht glauben möchte. Wir haben im Moment revolutionäre Erhebungen in einer Reihe von Ländern - etwa die Massenproteste in Ägypten und in der Türkei. Es gibt einen unheimlichen Wunsch nach Veränderungen. Eine Revolution ist letztlich nichts anderes, als wenn ein Großteil der Bevölkerung sagt: Wir können nicht mehr mit den diktatorischen Umständen und mit den sozialen Missständen leben. Revolutionen sind nicht nur Geister aus dem 19. Jahrhundert, sondern etwas, was in vielen Ländern in Vorbereitung ist. Natürlich wird so eine Revolution nicht durch Wahlen bestritten.

daStandard.at: Warum kandidieren Sie dann?

Grusch: Die Wahlen sind für uns eine Möglichkeit, unsere Ideen zu diskutieren, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Es ist super, wenn man uns wählt, aber noch wichtiger ist es, vor und nach dem Wahlkampf politisch aktiv zu werden mit uns. Keines der Ziele, die wir haben, wird durch Pfoteheben im Parlament umgesetzt, weil das Parlament in einem kapitalistischen Staat wie Österreich ein verlängerter Arm der Wirtschaft ist.

daStandard.at: Die Neos forderten in einem Interview die "Vereinigten Staaten Europas". Sie wollen lieber die "Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas". Hat die EU sich als Idee überholt?

Ruster: Die EU ist eine Union der Banken und Konzerne. Das ist genau, was wir nicht wollen. In Brüssel gibt es mehr LobbyistInnen als ParlamentarierInnen, und das ist absurd. Wir brauchen ein Europa, das ausgeht von den Leuten, die auf der Straße stehen. Ein sozial gerechtes Europa, ein Europa der Jugendlichen, der PensionistInnen, der Erwerbslosen und der ArbeiterInnen. Damit diese Leute zu Wort kommen und eine Zukunft haben, braucht es eine Föderation gleichberechtigter sozialistischer Staaten.

daStandard.at: Auf ihrer Website bezeichnen Sie die Europäische Volkspartei als "terroristische Organisation", die einen Sparkurs "diktatorisch" umsetzt. Muss man als Kleinpartei harte Parolen schwingen, um Aufmerksamkeit zu bekommen?

Grusch: Ist es etwa nicht richtig, dass der Terror des Sparens auf uns lastet? Der wahre Terrorismus geht nicht von Tierschützern oder Aktivisten aus, sondern vom Kapitalismus, der den Leuten die Butter vom Brot nimmt. Da muss man doch sagen, was Sache ist.

daStandard.at: Wie kommt es, dass es sowohl im rechten als auch im linken Lager immer neue Splittergruppen anstelle von Bündnissen gibt? Bei Ihnen war das auch so, dass für diese Wahl kein Bündnis zustande gekommen ist.

Grusch: Diese Frage müssen Sie der KPÖ stellen. Wir haben seit über einem Jahr versucht, ein Bündnis zusammenzubringen. Grundsätzlich denken wir, dass es in Österreich eine neue Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm braucht. Man sollte die Wut und die Angst, die Kämpfe und Bewegungen bündeln und als gemeinsame politische Kraft auftreten. (Olja Alvir/Balázs Csekő, daStandard.at, 18.7.2013)