Die Grafik auf Bulgarisch.

Grafik: reporterbg.com

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Proteste in den Straßen Sofias.

Foto: Reuters/Nenov

Tag 39 der Antiregierungsproteste in Sofia, Tag 26 des morgendlichen Protest-Kaffeetrinkens vor dem Parlament, Tag 26 auch für die Pro-Orescharski-Truppe, aber die zählt nicht wirklich, und Tag 3 schließlich für die neue Nachrichtenwebsite des Protestvolks mit dem eingängigen Titel Noresharski, ein bisschen spät, aber es ist Sommerzeit, und normalerweise setzt sich die bulgarische Hauptstadt dann ins Auto und fährt an die Hotelburgen am Schwarzen Meer oder mittlerweile eher nach Griechenland. Sommer 2013 ist aber Protestzeit.

Die Regierung des unglückseligen Plamen Orescharski soll weggehupt und -getrillert werden, und deren Vorgänger von den Rechts-Mitte-Populisten um Boiko Borissow auch gleich. Dann wäre die politische Bühne im EU-Balkanland schon ziemlich leer, und irgendjemand müsste dann wohl doch mit dem Regieren weitermachen, aber darüber denkt die Protestbewegung jetzt erst einmal nicht nach.

Die Absetz- und Neuwahlbewegung in der bulgarischen Hauptstadt ist physisch auf der Straße kleiner, als es vor allem die Medien des Verlegers und Multi-Unternehmers Iwo Prokopiew glauben machen wollen - es sind derzeit, inmitten der Sommerferien, allenfalls ein Dutzend Menschen, die während des Tags vor dem Parlament stehen, und mehrere Hundert bis 1000, die an normalen Abenden dann in die Innenstadt kommen. Bei sieben Millionen Einwohnern im Land also nicht die Massenbewegung. Auf Novinite wird dann wohl bisweilen ein wenig mit Photoshop nachgebessert, um die Straßen dicht besetzter aussehen zu lassen. Doch in den sozialen Medien sind die Protest-Bulgaren weiter sehr aktiv. Und der entscheidende, den Fortbestand der Regierung durchaus in Frage stellende Faktor ist: Die Proteste sind dauerhaft - keine Pause, keine Lücke, kein Nachgeben.

Das macht die Unterstützer der Koalition von Sozialisten und der Partei der mehrheitlich Türkischstämmigen von DPS (Bewegung der Freiheit und Rechte) natürlich nervös. Das kleine Nachrichtenportal reporterbg.com, das wohl der Medienwelt von Deljan Peewski und dessen Mutter zugerechnet werden darf, hat dieser Tage ein Schaubild auf den Markt geworfen, das die angeblichen Hintermänner und -frauen und deren Sponsoren zeigen soll: auf der rechten Seite des Tableaus Geld und Gehirn, auf der linken Seite die ausführenden Damen und Herren.

Dazu muss man kurz in Erinnerung rufen, dass der bald 33-jährige Peewski als Ikone der bulgarischen Oligarchenwelt gilt: ein Mann, der seit Mitte 25 in der Politik verankert ist, im Parlament sitzt, selten redet, auch zweimal stellvertretender Minister und Staatsanwalt war mit erstaunlich schneller Parallel-Absolvierung eines Jus-Studiums, der vor allem aber als De-facto-Mitbesitzer der Neuen Mediengruppe Bulgarien seiner Mutter gesehen wird; die kontrolliert knapp zwei Drittel des Marktes, inklusive Vertrieb.

Als Peewski, Abgeordneter der DPS (und früher der mittlerweile halbtoten Partei des Ex-Königs und Ex-Premiers Sakskoburggotski), aber am 14. Juni im Schnellverfahren zum Chef der bulgarischen Geheimdienstbehörde DANS gemacht wurde, war der Bogen überspannt. Die Bulgaren gingen auf die Straße. Die damals gerade einmal zwei Wochen alte Regierung Oreschaski hatte aus Sicht der Demonstranten ihr moralisches Kapital bereits verspielt wie zuvor schon die Regierung Borissow. Peewski kündigte am nächsten Tag seinen Rücktritt und brauchte dann noch einmal vier Tage, um es tatsächlich zu tun.

"Wer das Netz der Proteste knüpft" heißt nun das Schaubild, das zeigen soll, wie es sich wirklich verhält mit der Anti-Orescharski-Maschine in Bulgarien. Es ist ein Stück Verschwörungstheorie, weil die Proteste lediglich als Produkt einer Reihe von US-finanzierten NGOs dargestellt werden. Zwei Politiker - Staatschef Rossen Plewneliew und Ex-Regierungschef Boiko Borissow - werden in sehr lose Verbindung mit diesen NGOs gebracht, und auch eine amtierende EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe - die Bulgarin Kristalina Georgiewa - spielt auf diesem Tableau mit.

Andererseits spiegelt das Schaubild auch nur wieder, was man seit den Volksaufständen gegen Slobodan Milosevic in Belgrad 1999 und Eduard Schewardnadse in Tiflis 2003 kennt: Führungsfiguren, die öffentliche Proteste organisieren, folgen Ideen, wie sie eben das Open Society Institute von George Soros und andere NGOs vertreten - Kampf gegen Korruption, für rechtsstaatliche Prinzipien, Demokratie und Bürgerbeteiligung; sie arbeiten zumeist für diese NGOs und werden deshalb auch von ihnen entlohnt. Was soll man daraus also ableiten? Dass Soros den Sturz von Orescharski in Sofia angeordnet hätte, oder dass Transparenz bei der Besetzung staatlicher Ämter eine schlechte Sache sei, ebenso wie die Trennung von Unternehmerinteressen und parlamentarischer Arbeit?

Neben dem Open Society Institute in Sofia werden als angebliche Drahtzieher der Proteste das Bulgarische Helsinki-Komitee angeführt, die Stiftung Amerika für Bulgarien, die unrichtigerweise als verlängerter Arm von US-Aid dargestellt wird (US-Aid in Bulgarien hat sein Programm bereits 2008 eingestellt), die Organisation Tipping Point in Sofia, die als Agent einer neoliberalen Politik des IWF präsentiert wird, mittlerweile aber in Wirklichkeit Communitas Foundation heißt und ihren Hauptsponsor, den German Marshall Funds verloren haben dürfte, weil sich auch der seit dem Frühjahr aus dem Balkan zurückgezogen hat; schließlich das Zentrum für Liberale Strategien des renommierten Politikwissenschaftlers Iwan Krastew.

In Tipping Point/Communitas Foundation sollen die finsteren Energien von vier Personen zusammenfließen: Verleger Prokopiew (vor allem die Wochen- und Tageszeitung Kapital), Borissows Ex-Lebensgefährtin, Großunternehmerin und Bankfrau Tswetelina Borislawowa, der konservative Ex-Premier Iwan Kostow (1997-2001) und Communitas-Gründer Swetoslaw Bojilow. Soros, Helsinki-Komitee und Amerika für Bulgarien haben wiederum drei Führungsfiguren des Protests in der Vergangenheit mit größeren Beträgen finanziert, was sie deshalb zu ausführenden Organen der NGOs und Stiftungen machen soll: Antoaneta Tsonew, die Direktorin des Thinktank IPED (Instituts für Entwicklung der öffentlichen Umwelt) in Sofia, das sich vor allem mit der Reform des Wahlrechts beschäftigt; dem Blogger Asen Genow, der die Proteste am 14. Juni mit einem Aufruf auf Facebook startete, sowie seinen Kollegen Konstantin Pawlow, der unter dem Twitternamen @komitata ebenso wie Genow in den vergangenen Jahren zu einem der Meinungsführer in Bulgariens sozialer Medienwelt aufgestiegen ist und zusammen mit Genow das "Boykometer" eingeführt hat zur Überwachung der Regierungsarbeit des damaligen Premiers.

Genow und Pawlow organisieren die bulgarische Ausgabe der "Empörten" mit, einem Webportal mit dem Namen "Wütende junge Menschen" (Gnevnite mladi hora) - links oben auf dem Schaubild - und haben für ihre Arbeit bereits einen Bürgerrechtlerpreis erhalten. Unternehmer Prokopiew wiederum, so wird in dem Schaubild behauptet, hätte für seinen Ekonomedia-Verlag drei Millionen Lewa (1,5 Millionen Euro) von Amerika für Bulgarien erhalten und soll ein Geschäftspartner und persönlicher Freund des amtierenden Staatspräsidenten Plewneliew sein. Darauf wies schon der bulgarische Bankier Tswetan Wassilew in einem Interview mit dem STANDARD hin und schrieb Prokopiew dabei eine maßgebliche Rolle bei der Gestaltung der Übergangsregierung zu, die von März bis Mai in Bulgarien durchaus aktiv und ohne parlamentarische Kontrolle die Amtsgeschäfte geführt hatte.

Plewneliews Frau Juliana war einmal im Ekonomedia-Verlag tätig, was sie deshalb auch auf das Tableau bringt. Plewneliew selbst wiederum solidarisierte sich ebenso wie EU-Kommissarin Georgiewa mit den Straßenprotesten und rief bereits zu nochmaligen Neuwahlen auf; auch Georgiewa hält Neuwahlen für "unumgänglich", wie sie in ihrem offiziellen Blog, jedoch nur in der bulgarischen Fassung, schrieb.

Das Pech mit den Neuwahlen ist allerdings: Die Umfragen sagen in diesen Tagen keine großen politischen Revolutionen voraus - allenfalls regiert dann eben wieder Borissows Partei GERB, ebenfalls wie schon in der Vergangenheit gestützt auf Rechtsextreme ... (Markus Bernath, derStandard.at, 23.7.2013)