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Pinselohr auf der Pirsch: Luchse verfügen über extrem scharfe Augen und ein besonders sensibles Gehör. Immer wieder werden verwaiste Jungen aufgefunden.
Abendstimmung. Schon bald wird die Dämmerung hereinbrechen. Plötzlich ertönt in der Ferne ein seltsames Schreien, eindringlich und heiser. Wanderer denken vielleicht an einen Raubvogel. Es ist der Ruf einer der seltensten Tierarten Mitteleuropas.
Jäger und Wildbiologen dagegen kennen das typische Luchspfeifen. Für sehr lange Zeit war es in den heimischen Wäldern jedoch nicht zu hören. Man hatte den Luchs ausgerottet. Nur in den unwegsamen Gebirgsregionen der Karpaten und des Balkans sowie in Skandinavien konnten sich die Großkatzen halten. 1970/71 begannen deutsche und Schweizer Artenschützer mit der Wiederansiedlung des Eurasischen Luchses, zoologisch Lynx lynx genannt, im Bayerischen Wald und auf eidgenössischem Territorium. Schon bald folgten ähnliche Projekte in Slowenien, dem Piemont und der Steiermark.
Von 1977 bis 1979 versuchte der Wildbiologe Antal Festetics gemeinsam mit Karl Schwarzenberg auf dessen Grundbesitz auf der Turracher Höhe, den Luchs durch ein Wiederansiedelungsprojekt mit neun Tieren wieder heimisch zu machen. Sie wanderten ab, insbesondere in die nahen Kärntner Jagdreviere - was zu einem heftigen Konflikt zwischen Jägern, die um die Wildbestände fürchten, und Wissenschaftern nach sich zog. Ein nachhaltiges Comeback des Luchses scheiterte.
Heute, rund vier Jahrzehnte später, ist Ernüchterung eingekehrt. Die Populationen in Teilen der Schweiz und im Grenzgebiet zwischen Bayern und Tschechien haben sich relativ gut entwickelt, aber darüber hinaus gibt es nur wenige Fortschritte. "Der Luchs tritt auf der Stelle", erklärt Marco Heurich, Wildtierbiologe im Nationalpark Bayerischer Wald. Die Wiederbesiedlung anderer Regionen kommt nicht voran, das Vorkommen von Lynx lynx ist in Mitteleuropa noch immer sehr an Schutzgebiete gebunden, sagt er.
Jagd in der Dunkelheit
Ein Jammer, denn die Katzen sind eine enorme Bereicherung der Fauna. Ihre Jagdstrategie ist perfekt an ihren natürlichen Lebensraum angepasst. Luchse sind Pirschjäger, erläutert Heurich. Sie können sich lautlos auf bis zu zehn Meter an ihre Beute heranschleichen. Erlegt werden vor allem Rehe, Gämsen und Rothirschkälber. Früher dachte man, dass der Luchs hauptsächlich in der Dämmerung jagt. Neueren Studien zufolge nutzt das Raubtier mit den Haarpinseln an den Ohren bevorzugt die Dunkelheit aus.
Dann kann er seine extrem scharfen Augen und sein besonders sensibles Gehör optimal ausspielen. Ein erbeutetes Reh bietet einem Luchs Futter für ungefähr drei Tage. Haustiere werden in Mitteleuropa nur selten angegriffen. Für Zweibeiner stellt der Luchs bekanntlich überhaupt keine Bedrohung dar. Und doch wird er nicht überall gern gesehen.
Christian Fuxjäger ist Luchsexperte im Nationalpark Kalkalpen. "In den Alpen schaut es sehr schlecht aus", sagt er. Es gebe nur Einzeltiere, von einer stabilen Population sei man noch weit entfernt. Schätzungen zufolge gibt es höchstens zehn erwachsene Luchse in den gesamten österreichischen Alpen. In den vergangenen zwei Jahren tauchten in Vorarlberg gelegentlich Tiere aus der Ostschweiz auf, weitere Hinweise wurden aus Kärnten, dem Salzburger Land, der Region um Bruck an der Mur und sogar aus dem Bereich Schneeberg/Rax gemeldet. Direkte Beobachtungen sind überaus selten. "Sie leben halt sehr heimlich", betont Fuxjäger.
Grundsätzlich findet der Luchs in Österreich sehr gute Lebensbedingungen vor. Der Nationalpark Kalkalpen ist Teil des potenziell besten Luchshabitats im gesamten Alpenraum, wie Fuxjäger erklärt. Dieses Gebiet erstreckt sich vom Wienerwald bis zur Tauernautobahn und bis weit in die Steiermark hinein. Waldreich, wildreich und praktisch ohne Barrieren. Eigentlich ein Pinselohr-Paradies. Doch leider ein vakantes. Etwas besser sieht es im Mühlviertel und Waldviertel aus. Dort sind Luchse aus der Population im Bayerischen Wald und Böhmerwald vorgedrungen. Ein wirklich stabiler Bestand konnte sich allerdings auch in diesem Winkel Österreichs noch nicht bilden.
Illegale Abschüsse
"Das Hauptproblem ist die Akzeptanz in der Jägerschaft", meint Christian Fuxjäger. Illegale Tötungen von Luchsen wurden zwar hauptsächlich in Deutschland nachgewiesen, aber auch hierzulande dürften schon einige dieser Großkatzen gezielt umgebracht worden sein. Im Mühlviertel, berichtet Fuxjäger, hat man bereits mehrfach verwaiste Luchsjungen aufgefunden. Das Verschwinden der Mütter lässt Übles erahnen.
Lynx lynx hat in Mitteleuropa allerdings noch mit anderen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Tiere gelten als relativ schlechte Kolonisten, weil sie nicht so schnell neue, weiter entfernt vom Ursprungsgebiet gelegene Lebensräume besiedeln. Es sind überwiegend männliche Jungluchse, die über große Distanzen abwandern. Die Weibchen tendieren dazu, in der Region um ihren Geburtsort zu bleiben. Um langfristig lebensfähige Luchsbestände aufbauen zu können, muss zudem der genetische Austausch zwischen den Teilpopulationen gewährleistet sein. Mit anderen Worten: Die Tiere in der Schweiz und in den französischen Vogesen müssen in Kontakt mit ihren Artgenossen in Bayern, Böhmen, dem Harz und den Karpaten kommen können.
Dazu braucht es einen Biotopverbund sowie neu erschlossene Siedlungsgebiete wie zum Beispiel im Thüringer Wald, erklärt Marco Heurich. Ein weiteres Problem ist der ständig zunehmende Straßenverkehr. Neu geplante Autobahnen werden Wanderkorridore durchschneiden, an bereits bestehenden Trassen fehlt es meist an Grünbrücken. Luchse und anderes Wild können solche Pisten kaum überqueren.
Doch es gibt auch gute Nachrichten. Nachdem 2011 ein Luchspärchen aus der Schweiz in den Nationalpark Kalkalpen umgesiedelt wurde, hat das Weibchen, Freia genannt, schon einen Wurf erfolgreich großgezogen. Diese Jungluchse sind inzwischen selbstständig geworden, berichtet Fuxjäger. Und Freia hat Mitte Mai erneut drei Junge zur Welt gebracht. Fuxjäger und sein Team haben die Kleinen, zwei Weibchen plus ein Männchen, bereits ausführlich untersucht und ihnen Identitätschips eingepflanzt. Sie sind gesund und wohlauf. Drei Fünkchen Hoffnung. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 24.7.2013)