Es ist eines der zentralen Ereignisse in der Geschichte des russischen Imperiums: Im Jahr 988 lässt sich Fürst Wladimir in Kiew taufen und eint damit das Reich unter dem orthodoxen Glauben. Vor seiner Bekehrung laut Chronisten ein Schürzenjäger und machtgieriger Kriegstreiber, gilt er inzwischen als Heiliger der russisch-orthodoxen Kirche, der dem Land Fortschritt und moralische Werte brachte.
"Der Wladimir-Hügel ist das Symbol unseres gemeinsamen seelischen Ursprungs, es ist das Symbol der Orthodoxie und der moralischen Werte, die wir gemeinsam mit der Taufe übernommen haben", betonte dann auch Patriarch Kyrill, das aus Moskau angereiste Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, bei der Gedenkmesse zur Jubiläumsfeier.
Wie der Namensvetter
1025 Jahre nach seinem Namensvetter hoffte auch Wladimir Putin in Kiew auf den orthodoxen Glauben als Bindeglied zwischen Russen und Ukrainern. Gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch nahm er an den Feierlichkeiten in Kiew und einen Tag später auch in Sewastopol auf der Krim teil.
"Wir alle sind seelische Nachkommen dessen, was hier vor 1025 Jahren geschah – und in diesem Sinne sind wir ein Volk", erklärte Putin, der als Stargast beim Forum der ukrainischen EU-Gegner "Orthodoxe slawische Werte als Grundlage für die zivilisatorische Wahl der Ukraine" auftrat. Die aus der Kiewer Rus stammende geistliche Einheit sei stärker als alle Machthabenden, fügte er an.
Die Spitze richtet sich gegen die ukrainische Führung, die sich – egal welcher Coleur – seit Jahren gegen einen neuen Führungsanspruch aus Moskau zur Wehr setzt. So verlief das politische Treffen Putins mit Janukowitsch im Gegensatz zur Messe-Inszenierung (für deren reibungslosen Verlauf hatte die ukrainische Führung extra einige Femen-Aktivistinnen mehrere Stunden lang wegsperren lassen) auch alles andere als harmonisch. Selbst den obligaten Händedruck für die Presse vergaßen die beiden Staatschefs. Für die Besprechung der aktuellen politischen Beziehungen waren zudem gerade einmal 15 Minuten eingeplant.
Doch die Gegensätze scheinen zurzeit ohnehin unüberwindlich. Putins Einladung an die Ukraine, der Zollunion von Russland, Weißrussland und Kasachstan beizutreten, steht Janukowitsch kühl gegenüber. Er hofft vielmehr darauf, noch im November beim EU-Gipfel ein Assoziierungsabkommen unterzeichnen zu können, das der Ukraine den europäischen Markt öffnen soll.
"Wir werden jede Wahl des ukrainischen Volkes respektieren", sagte Putin in Kiew, verwies zur Sicherheit aber noch einmal darauf, dass der Handel zwischen den Zollunionsstaaten im ersten Quartal 2013 um 2,3 Prozent zugelegt habe. "Mit der Ukraine ist unser Handel im ersten Quartal um 18 Prozent gefallen", sagte Putin auch. Dass dies vor allem mit dem leidigen Gasstreit zwischen den beiden Nachbarn zu tun hat, sagte er nicht.
Süßwarenboykott
Der Gaspreis ist das wichtigste Druckmittel, das Moskau in den Verhandlungen mit Kiew über die Zollunion hat. Aber auch die Schließung des russischen Markts wäre für die ukrainische ein harter Schlag. Dass nur einen Tag nach der erfolglosen Visite Putins in Kiew Russlands Oberster Amtsarzt Gennadi Onischtschenko ukrainische Backwaren auf die schwarze Liste setzen ließ, ist kaum ein Zufall.
Onischtschenkos Behörde ist bekannt dafür, dass sie Qualitätsmängel in Produkten stets dann entdeckt, wenn die Beziehungen mit dem Herstellerland gespannt sind. So landeten zu verschiedenen Zeiten schon georgischer und moldawischer Wein, weißrussischer Käse und abchasische Mandarinen auf dem Index. Nun eben ukrainisches Süßzeug. Denn auch Zuckerbrot kann sich zur Peitsche entwickeln. (André Ballin aus Moskau /DER STANDARD, 30.7.2013)