David Groß im Wiener Stadtpark. Auch hier übernachtete er - auf der "Straße der Obdachlosen".

Foto: Christian Fischer

Wien - Im Wiener Villenviertel von Döbling war David Groß dieser Tage auch schon unterwegs. Marschierte eine halbe Stunde lang durch die Gassen, ohne auch nur einer einzigen Menschenseele zu begegnen. Dieses Einbunkern in der Gegend der Reichen hat ihn sichtlich etwas verstört: "Das hat etwas Steriles, man findet einfach keinen Zugang", berichtet Groß im STANDARD-Gespräch.

Kein Brot, aber Kuchen

Schließlich läutete er einfach an einer Türe. "Der erste Blickkontakt war der mit den Kameras, die sich in meine Richtung drehten." Dann wurde die Türe geöffnet, und der Wanderer stellte seine Frage, die er in den vergangenen Tagen oft schon gestellt hat: ob er ein Stück Brot haben könne. Die Antwort: "Brot leider nicht - aber Kuchen können Sie haben." Das Marie-Antoinette-Prinzip hat sich über all die Jahre hinweg offenbar in Hilfsbereitschaft gewandelt.

Maximale Konsumreduktion

Wer sich mit Nachhaltigkeit und nachhaltigen Lebensstilen beschäftigt, kommt um die Themen Überfluss und Konsumreduktion nicht herum. David Groß spitzt diese neue zukunftsorientierte Bescheidenheit derzeit zu; will ganz genau wissen, wie weit er physisch und inhaltlich gehen kann. Er reduziert seinen - bezahlten - Konsum auf null.

Sechs Wochen lang will er durch Österreich touren - ohne Geld. Von Salzburg aus über Oberösterreich nach Wien, dann über das Burgenland, Steiermark, Kärnten und Tirol wieder die große Schleife zurück nach Salzburg. Rund die Hälfte der Strecke wird gewandert - die andere Hälfte getrampt. Wo er gerade ist, das kann man in seinem Blog verfolgen. Später soll das Projekt in ein Buch gegossen werden.

Kontakt mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen

Unterwegs sucht er ohne Plan und doch gezielt Kontakt mit unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen. Sei es eine Gruppe Roma, die ihm in Oberösterreich Gastfreundschaft gewährte. Oder die Gestrandeten im Stadtpark, die auf der "Straße der Obdachlosen", einer Reihe von Parkbänken, nächtigen. Jene hatten ihm bereitwillig Platz gemacht und Tipps für die nächste Verpflegung gegeben.

Oder sei es auch jener Anlageberater, der den Autostopper mitgenommen hatte. Ganz ohne Geld? Unvorstellbar, habe der gemeint. Aber: Wenn Groß wieder Geld habe, könne er sich an ihn wenden, er würde ihm gern helfen, es zu vermehren. Und übrigens habe er hinten noch eine halbe, wenn auch kalte Pizza. Die könne er gern noch essen.

Zwischenstand: 50 Cent

Geld vermehren? Die bisher verblüffendste Erfahrung, berichtet Groß bei seinem Zwischenstopp in der Wiener STANDARD-Redaktion: dass er bei weitem nicht so viel um Geld schnorren müsse, wie er ursprünglich gedacht habe. Im Gegenteil: "Ich hatte mir gleich am ersten Tag in Salzburg einen Euro von einem Trachtenpärchen erbettelt." Jetzt, neun Tage später, "hab ich diesen Euro erst zu 50 Prozent ausgegeben. Für ein Essen bei der Vinzirast in Linz."

Der große Überfluss und die Verschwendung von Ressourcen in unserer Gesellschaft beschäftigen Groß schon seit längerem. Im Mai des Vorjahres startete er deshalb das Projekt "Wastecooking": Eine internette Fernsehshow der anderen Art: Erst wird gemeinsam mit Freunden und Interessierten nach jenen Lebensmitteln "getaucht", die von Supermärkten täglich und tonnenweise weggeworfen werden - und dann werden diese gemeinsam zu wahren Köstlichkeiten verkocht (der STANDARD berichtete).

Kreativität statt Geld

Jetzt ist weniger das Weggeworfene das Thema - obgleich Groß dadurch natürlich genau weiß, wo er sich notfalls etwas zum Essen "ertauchen" könnte -, sondern das Verschenkte. Und der Gegensatz von Überfluss - das Garnichtshaben. "Die Frage, ob eine geldlose Gesellschaft möglich wäre, ist dabei überhaupt nicht mein Fokus", betont Groß. "Eher das Entwickeln eines Lebensstils, der grundsätzlich auch für andere möglich wäre - wenn Geld durch Kreativität ersetzt wird."

Und natürlich habe er auch seine "romantischen Momente. Ich weiß, dass ich es vergleichbar einfach habe - ich bin mal weg, kann aber jederzeit zurückkehren. Wenn mir dabei aber wirkliche Armut begegnet, ist das heftig und erschütternd und verändert mich sehr. Armut ist nur zerstörerisch und knüppelhart, sie hat überhaupt nichts Romantisches."

Gemeinsames Fastenbrechen

Groß berichtet noch von einer Begegnung vor dem STANDARD-Gespräch - dieser Abend werde ihm als einer der eindrucksvollsten Momente seiner Wanderung in Erinnerung bleiben: Das gemeinsame Fastenbrechen mit Muslimen im Ramadan. Das gemeinsame Hungern aus unterschiedlichsten Motiven, das Teilen der wenigen Speisen. Kurze Zeit später wurde ein Teil der Gruppe von einem großen Polizeiaufgebot abgeholt: Groß hatte just in der Nacht vor der geplanten Abschiebung von acht Pakistanis im Servitenkloster bei der Refugee-Bewegung übernachtet.

Dann packt Groß noch Überreste vom Mittagsbüffet in der Redaktion ein und macht sich wieder auf den Weg. Wo er diesmal übernachten wird, darüber macht er sich wie immer erst nach Sonnenuntergang Gedanken. "Sonst würde mich dieses Thema den ganzen Tag beherrschen." (Roman David-Freihsl, DER STANDARD, 1.8.2013)