Wien/London - Es ist nur eine kurze Episode am Vorabend des Zweiten Weltkrieges gewesen, und doch werfen von der Bank of England veröffentlichte Dokumente ein schräges Licht auf das Rechts- und Moralverständnis führender Notenbanker in den 1930er-Jahren. Die Bank of England publiziert derzeit laufend historische Dokumente auf ihrer Webseite, die bisher unter Verschluss gehalten waren. Ein Eintrag erregt derzeit das Interesse von britischen Historikern und Journalisten.

Bei dem Fall geht es um den Transfer und Verkauf von Goldreserven der Tschechoslowakei im März 1939. Zur Vorgeschichte: Mit dem Münchner Abkommen im September 1938 wurde die Annexion der tschechoslowakischen Sudetengebiete durch Hitler-Deutschland besiegelt. Ein Jahr darauf folgte die Besetzung des restlichen Landes - am 15. März marschierte die Wehrmacht in der Tschechoslowakei ein. Bereits wenige Tage später begann die deutsche Reichsbank damit, die Goldreserven Prags zu Geld zu machen. Eine entscheidende Rolle spielten dabei sowohl die Bank of England als auch die bis heute aktive Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Die BIZ wurde 1930 gegründet, um Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg leichter abwickeln zu können. Nach und nach entwickelte sich die Organisation aber zu einer Kooperationsplattform für Zentralbanken in Europa und den USA.

Die tschechoslowakische Notenbank transferierte bereits 1930 einen Teil ihrer Goldreserven an die BIZ, die ihren Sitz in der neutralen und damit vermeintlich sicheren Schweiz (Basel) hatte. Am 21. März 1939, sechs Tage nach dem Einmarsch in Prag, wies die deutsche Reichsbank die BIZ an, Goldreserven im Wert von 5,6 Millionen Pfund vom BIZ-Konto "Nummer 2" auf das Konto "Nummer 16" zu transferieren. Der BIZ war klar, dass das Gold der tschechoslowakischen Notenbank gehörte und Konto "Nummer 16" der Reichsbank zugeordnet wurde. 5,6 Millionen Pfund waren kein kleiner Betrag - unter Berücksichtigung der Inflation entspricht das heute 310 Millionen Pfund oder fast 360 Millionen Euro.

Nichtsdestotrotz entsprach die BIZ dem Wunsch der Deutschen, mehr noch: Ein Teil des Goldes wurde an die niederländische und ein Teil an die belgische Notenbank transferiert, ein Teil sollte über London verkauft werden. Die Abwicklung des Deals übernahm die Bank of England, deren damaliger Gouverneur Montagu Norman laut Dokumenten über die Herkunft des Goldes Bescheid wusste. Norman wies sogar eine Intervention der Franzosen zurück, die den Verkauf zugunsten des Feindes (der Zweite Weltkrieg begann sechs Monate später) blockieren wollten. Der Notenbankchef argumentierte, dass die BIZ-Statuten ihm keine andere Wahl lassen würden und er es auch nicht für klug hielte, der Anordnung aus Basel "aus politischer Motivation heraus" zu widersprechen. Wie aus den Dokumenten hervorgeht, war die Bank of England daran interessiert, die BIZ auch während und nach dem Krieg gegen Hitler-Deutschland funktionstüchtig zu halten. Die britische Regierung verlangte jedenfalls ebenfalls Aufklärung über den Fall, wurde aber erst informiert, als der Goldverkauf durch die Bank of England bereits abgewickelt war. (András Szigetvari, DER STANDARD, 1.8.2013)