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Menschen mit Seh- und Hörschwächen sind besonders stark auf Barrierefreiheit in technischen Produkten angewiesen

Foto: apa

Apps gibt es mittlerweile bekanntlich wie Sand am Meer. Smartphone-Anwendungen sind oft mit Bedacht gestaltet und Entwickler versuchen, Menüführungen und Optionen so einfach wie möglich zu gestalten. Im Zusammenhang mit der Entwicklung von Apps berücksichtigen aber nur die wenigsten Developer auch Menschen, die Apps aufgrund von körperlichen oder geistigen Einschränkungen nicht so nutzen können wie der durchschnittliche User.

Stiefmütterliche Behandlung

Smartphone- und Betriebssystemhersteller bemühen sich, in den Systemeinstellungen Menschen mit Sehschwierigkeiten, Hörproblemen oder anderweitigen Einschränkungen, die Bedienung zu erleichtern. Die Apps selbst werden diesen Anforderungen aber nur in seltenen Fällen gerecht. Barrierefreiheit wird von vielen Entwicklern nach wie vor stiefmütterlich behandelt.

Ein Beispiel

Eine eigene barrierefreie App für die Jobsuche soll nun Menschen mit Behinderung den Weg der Arbeitssuche erleichtern. "Career Moves" versucht den speziellen Anforderungen dieser Menschen gerecht zu werden und hat für Android, iPhone und iPad eine App veröffentlicht, die Accessibility-Aspekte berücksichtigt.

Gemeinsam mit dem Entwicklungsteam von Mobile Agreements wurde die App in ihrem gesamten Umfang konzipiert und umgesetzt. Die barrierefreie Anwendung ist neben einigen Filtermöglichkeiten auch mit Voice Over (also dem Vorlesen einzelner Elemente am Screen), Texthinweisen, einer Spracheingabe, starken Kontrasten und großen Schriften und Buttons ausgestattet.

Was ist bei Entwicklung zu beachten?

Der WebStandard hat mit dem Team gesprochen, um zu erläutern, was bei der Entwicklung barrierefreier Apps überhaupt zu berücksichtigen ist. Als Gesprächspartner standen Harald Weinberger, Geschäftsführer von Mobile Agreements, und Franz Althuber von Career Moves zur Verfügung.

derStandard.at: Denken Sie, dass sich Menschen mit Behinderungen im technologischen Zeitalter, in dem wir jetzt leben, diskriminiert fühlen?

Franz Althuber: Das iPhone war eines der ersten Produkte, das mit Voice Over gearbeitet hat. Als das iPhone gekommen ist und medial sehr viel los war, habe ich beobachtet, wie Menschen mit Behinderungen von einem Tag auf den anderen Apple-Fans geworden sind, weil ein Apple ein Produkt brachte, das an ihrer Anforderungen angepasst werden konnte. Würde die Wirtschaft mehr Geld in die Hand nehmen, um Produkte für diese Zielgruppe zu entwickeln, würde das in dieser Community mit Sicherheit gut ankommen. Aufgrund des schnellen technologischen Fortschritts kommt man aber nicht immer mit der bedürfnisorientierten Produktion nach. Touch-Screens und Voice Over haben aber einiges erleichtert.

Harald Weinberger: Es wird noch sehr wenig in diese Richtung gemacht, weil oft ein stylisches Design wichtiger ist, welches manchmal im Widerspruch mit Barrierefreiheit steht. Heutige Apps sind vorrangig designorientiert.

derStandard.at: Wird ihrer Meinung nach zu wenig getan, um Barrierefreiheit zu fördern? Wären dazu beispielsweise  verpflichtende Vorgaben oder Richtlinien sinnvoll?

Althuber: Das ist eine politische Diskussion. Verpflichtungen bringen bei so etwas wenig, sinnvoller wäre es, Anreizsysteme zu schaffen. Für Apps oder Websites mit Barrierefreiheits-Features könnten beispielsweise Fördersummen freigemacht werden. Verpflichtende Vorgaben kommen in der Wirtschaft nicht gut an.

derStandard.at: Wurde die App auch finanziell durch Behörden unterstützt?

Althuber: Career Moves wird durch das Bundessozialamt gefördert, dementsprechend wurde auch die App vom Bundessozialamt finanziell unterstützt.

derStandard.at: Wird in Österreich genug für die Sensibilisierung getan?

Althuber: Für jeden Bedarf bzw. jedes Bedürfnis gibt es Förderungen, um Barrieren aus dem Weg zu räumen oder großartige Mehrkosten zu vermeiden. Das Problem ist, dass die meisten Leute nicht wissen, wie sie an diese Förderungen kommen. Wir sehen uns deshalb als Schnittstelle, da wir gut vernetzt sind - auch durch das Bundessozialministerium. Natürlich kann so etwas aber immer ausgebaut werden. Es besteht viel mehr Bedarf an Aufklärungsarbeit, die man aber tatsächlich aus Mangel an Ressourcen nicht abdecken kann.

derStandard.at: Ist die Entwicklung barrierefreier Apps aufwändiger als herkömmlicher Anwendungen?

Weinberger: Es ist nicht bemerkenswert aufwändiger in der Umsetzung, aber die Konzeptionierung braucht es etwas mehr Aufwand. Man muss immer Kompromisse eingehen.

derStandard.at: Hatten sie vorher schon Erfahrung mit der Gestaltung solcher Apps bzw. berücksichtigen sie auch bei anderen Kunden, für die Sie Apps erstellen, diese Anforderungen automatisch?

Weinberger: Für die Stadt Linz haben wir beispielsweise ein App entwickelt, damit die Bürger Verbesserungsvorschläge für die Stadt einbringen können. Da war die Anforderung in Richtung Barrierefreiheit auch gegeben. Wir weisen Kunden auch darauf hin und fragen, ob es für sie ein Thema ist. Sobald Design und Usability dazu verändert werden müssen, wird aber oft davor zurückgeschreckt.

derStandard.at: Könnten Sie aus Entwicklersicht sagen, welches der mobilen Betriebssysteme, die es aktuell gibt, diesen Ansprüchen für Menschen mit Behinderung am ehesten gerecht werden?

Weinberger: Googles Android-System hat dieses Thema sehr gut aufgegriffen, Apple hat dann aber letztes Jahr aufgeholt, mittlerweile sind beide gleich auf. Bei beiden Systemen gibt es sehr gute Unterstützung zur Umsetzung dieser Anforderungen, sie bieten sehr viel - für Entwickler als auch User. Mit Windows Phone habe ich leider zu wenig Erfahrung, um das beurteilen zu können.

derStandard.at: Was können Sie jemandem raten, der Apps mit Berücksichtigung auf Menschen mit Behinderungen entwickeln möchte?

Weinberger: Die Minimalvariante ist es, Voice Over für Sehbeeinträchtigte zu implementieren. Dies ermöglicht, dass Daten bzw. Texte vorgelesen werden. Dahinter ist Text hinterlegt, der automatisch vorgelesen wird, wenn man sich etwas ansieht. Das ist einfach umzusetzen und man muss Design oder Ablauf noch gar nicht ändern deshalb. Möglichkeiten wie das Vibrationsfeedback bei Android kann man ebenfalls überall einbauen. Die Spracheingabe über Siri oder Googles Sprachassistenten ist ebenfalls eine Option. Bei der Entwicklung sollte man dann auch Tablets berücksichtigen. Dann gibt es noch einige andere Punkte, die man als zusätzliche Option anbieten kann: Starke Kontraste, größere Buttons und größere Schriften, die vor allem für körperlich bzw. motorisch beeinträchtigte Personen von Vorteil sind. (Iwona Wisniewska, derStandard.at, 3.8.2013)