Bis unmittelbar vor dem Ausbruch der Krise hatte das Wifo mehrfach Reformbedarf und -optionen im heimischen Abgabensystem aufgezeigt: 2006 im Rahmen des Weißbuchs zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung, 2008 in der Wifo-Studie zu Zielen und Optionen der Steuerreform.

Die dortigen Empfehlungen folgten einer Stoßrichtung, die auch OECD und EU-Kommission seit längerem regelmäßig für Österreich betonen: Zur Verbesserung der wenig wachstums- und beschäftigungsfreundlichen Abgabenstruktur sollen die hohen Abgaben auf die Arbeit gesenkt werden. Zur Gegenfinanzierung wären die umfangreichen Ausnahmen in Einkommen- und Umsatzsteuer einzuschränken, Umweltsteuern, Grundsteuer und Erbschaftssteuer stärker auszuschöpfen. So würde das Abgabensystem wachstums- und beschäftigungsverträglicher, ökologischer und nicht zuletzt einfacher und transparenter.

Seit Anfang 2008 hätte sich einige Male die Gelegenheit für systematische und konsequente Schritte zur Umsetzung einer solchen Abgabenstrukturreform geboten. Zunächst wurden mit dem "Antiteuerungspaket" vom Frühjahr und den Nationalratsbeschlüssen vom September 2008 ebenso wie mit der vorgezogenen Steuerreform 2009/2010 umfangreiche steuerliche Entlastungsmaßnahmen beschlossen. Nur teilweise verbessern sie aber die Abgabenstruktur, wie die Senkung von Arbeitslosenbeiträgen und Lohnsteuer für untere Einkommen.

Andere Maßnahmen dagegen widersprechen den Reformempfehlungen: die Abschaffung der Erbschaftssteuer, aber auch die Ausweitung von Überstundenbegünstigung und Pendlerpauschale ohne Ökologisierung. Letzteres erhöht darüber hinaus den Umfang der Ausnahmeregelungen und damit die Komplexität und Intransparenz des Abgabensystems weiter: ebenso die gleichfalls beschlossene erweiterte steuerliche Absetzbarkeit der Kirchenbeiträge, der höhere Gewinnfreibetrag für Unternehmen sowie der reduzierte Umsatzsteuersatz für Medikamente.

Die seit 2011 umgesetzten Steuererhöhungen zur Budgetkonsolidierung wurden ebenso wenig systematisch auf die Empfehlungen für ein zukunftsfähiges Abgabensystem abgestimmt. Die Konsolidierungspakete enthalten zwar auch strukturell sinnvolle Einzelmaßnahmen: insbesondere die Erhöhung einzelner Umweltsteuern, der Tabaksteuer sowie der Steuern auf Gewinne aus Grund- und Immobilienverkäufen.

Auch ist die Einschränkung einzelner steuerlicher Ausnahmen ein kleiner Beitrag zur Vereinfachung des Abgabensystems. Ein umfassender Ansatz zur Durchforstung und Beschneidung des bestehenden Dschungels an Ausnahmen in Einkommen- und Umsatzsteuer steht dagegen noch aus. Und die Anhebung der Sozialbeiträge mit dem zweiten Konsolidierungspaket erhöht die ohnehin sehr hohen arbeitsbezogenen Abgaben weiter und verstößt damit gegen alle Empfehlungen für eine zukunftsorientierte Abgabenstrukturreform.

Von der Krise völlig in den Hintergrund gedrängt wurde die geringe Abgabenautonomie der Gemeinden und vor allem der Länder: Diesen mehr Verantwortung für die Finanzierung ihrer Ausgaben aus eigenen Steuern zu übertragen sollte eine effizientere Mittelverwendung fördern.

So ist das österreichische Abgabensystem trotz der zahlreichen Eingriffe der letzten Jahre eine der großen Reformbaustellen geblieben, der die neue Bundesregierung höchste Priorität beimessen sollte. Dabei kann es zunächst wegen der engen Budgetspielräume nicht vorrangig um eine deutliche Senkung der Gesamtabgabenlast gehen, sondern primär nur um deren Umschichtung im Rahmen eines zielgerichteten Vorgehens. (Margit Schratzenstaller, DER STANDARD, 3.8.2013)