Der Titel ist programmatisch: "Internet - Segen oder Fluch". Ohne Fragezeichen. Der Blogger Sascha Lobo und Kathrin Passig, Redakteurin des Weblogs "Riesenmaschine", haben gemeinsam ein Buch verfasst, in dem sie Pro- und Kontra-Argumente Punkt für Punkt durchgehen. Sie schildern Diskussionsstränge und beschreiben Konfliktfelder.
Auch wenn der oft etwas gewollte rotzige Ton nerven kann: In dem Abwägungsprozess liegen die Qualität des Buches und der Überraschungseffekt. Trotz ihres beruflichen Hintergrundes präsentieren sich die Autoren nicht als glühende Internetfreaks, sondern gehen auch auf die negativen Seiten der digitalen Entwicklung ein: Aushöhlung des Urheberrechts, Beschleunigung, das Sammeln von Daten.
Privatsphäre und Drohnen
Höchst aktuell ist die Auseinandersetzung über die Achtung der Privatsphäre, wenngleich Ed Snowdens jüngste Enthüllungen der Aktivitäten der NSA logischerweise noch nicht berücksichtigt sind. Einiges von dem, worüber jetzt öffentlich diskutiert wird, wie der Einsatz von mit Sensoren zur Datenaufzeichnung ausgestatteten Drohnen, wird in dem Buch thematisiert.
"Selbstbestimmte Zukunft"
Und immer wieder verweisen die beiden Autoren auf die Verantwortung jedes Einzelnen im Umgang mit eigenen Daten. Sie fordern mehr Transparenz, was mit persönlichen Daten auf den verschiedenen Plattformen geschieht. Sie nennen das "selbstbestimmte Zukunft des Datenschutzes".
Technologiekritik in sechs Essays
Auf Eigenverantwortung weist Passig auch in ihrem zeitnah erschienenen Buch "Standardsituationen der Technologiekritik" hin, das sechs Essays enthält, die die Autorin ursprünglich für den deutschen "Merkur" verfasst hat. Ausführlich beschäftigt sich die Gewinnerin des Ingeborg-Bachmann-Preises 2006 mit der Postingkultur - eine Debatte, die die Schriftstellerin Julya Rabinowich jüngst im STANDARD angestoßen hat.
Gleich zu Beginn des Beitrags über "Sümpfe und Salons" schreibt Passig: "Mir ist kein Ort im deutschsprachigen Internet bekannt, an dem eine konstruktive Kommentarkultur herrscht." Sie bekennt, dass sie bei einigen Angeboten die Kommentare grundsätzlich vor den Artikeln liest.
Anders als Rabinowich ist Passig nicht für eine Aufgabe der Anonymität von Postern zur Anhebung der Beitragsqualität. "Der gängige Einwand gegen vollständige Anonymität lautet, dass diese die Teilnehmer zu Beleidigungen und destruktivem Verhalten anstiftet. Dasselbe passiert aber auch überall dort, wo Anmeldezwang herrscht. Zweit-, Dritt- und Fünfzehntpseudonyme sind so gebräuchlich wie unvermeidlich."
Für eine Moderation von Foren tritt die deutsche Autorin aber auf jeden Fall ein: "Moderation ist beim Einsatz von Pseudonymen ebenso unumgänglich wie bei anonymer Teilnahme, und manche Betreiber berichten sogar von sinkendem Blödsinnsanteil nach Abschaffung der Registrierungspflicht." Passig listet verschiedene, häufig nur Experten bekannte Moderations-, Filter- und Anmeldemodalitäten auf und versucht einzuordnen.
Digital Disconnect
Sehr viel stärker mit den negativen Aspekten des Internets setzt sich Robert W. McChesney auseinander. Der Titel seines Buches "Digital Disconnect. How Capitalism Is Turning the Internet Against Democracy" verrät schon eine Schlagseite. Der Professor für Kommunikation an der Universität Illinois hat eine Fülle von Material gesammelt und dieses akribisch ausgewertet, wovon eine Fülle von Fußnoten zeugt. Allerdings verwendet er nur Zahlen und Studien, die seine These untermauern: Das Internet schädigt die Demokratie.
In einem Kapitel beschäftigt er sich ausführlich mit der Frage, welche Auswirkungen die Verbreitung des Internets auf den Journalismus hat. Die "ernst zu nehmende Krise des Journalismus" sei aber nicht allein durch die digitale Entwicklung entstanden, sondern vielmehr durch eine Beschränkung von Ressourcen.
Staatliche Unterstützung
Sogenannte Bürgerjournalisten und das Modell der "Huffington Post", für die Autoren meist ohne Bezahlung Beiträge schreiben, bewertet McChesney kritisch. In einem größeren Zusammenhang sieht er im Rückgang des professionellen Journalismus die Gefahr einer Unterminierung der Demokratie. Er plädiert - überraschend für einen Amerikaner - für staatliche Unterstützung. Er vergleicht dies mit Investitionen im Bildungsbereich.
In dem Zusammenhang verweist der US-Amerikaner, der sich ansonsten sehr stark auf die Entwicklungen in seinem Heimatland konzentriert, immer wieder auf Europa. In einer Statistik, in der er einen Zusammenhang zwischen Presseförderung und Demokratie herstellt, kommt auch Österreich vor - am guten fünften Platz.
Entdemokratisierung der Gesellschaft
Noch pessimistischer fallen die Einschätzungen des in Deutschland lehrenden Philosophen Byung-Chul Han aus: Für ihn manifestiert sich das Internet "nicht als öffentlicher Raum, als ein Raum des gemeinsamen, kommunikativen Handelns". Er sieht dadurch "die Demokratie selbst gefährdet". Denn die Personalisierung des Netzes führe zu einer Entdemokratisierung der Gesellschaft. "Die sozialen Medien würden sogar die periodischen Wahlen überflüssig machen. Womöglich ersetzt der Gefällt-mir-Button den Wahlzettel". Dieser Autor beantwortet die von Lobo und Passig nicht gestellte Frage "Internet - Segen oder Fluch?" eindeutig mit der Bewertung "ein Albtraum". (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 3.8.2013)