Köln/München - Die westdeutsche Doping-Vergangenheit während des Kalten Krieges sorgt weiter für Zündstoff. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am Samstag mit Verweis auf die bislang unveröffentlichte Studie "Doping in Deutschland" der Humboldt-Universität (HU) Berlin über neue Anzeichen für organisiertes Doping und entsprechende Rückendeckung durch staatliche Stellen. Über teilweise noch unbekannt gewesene Fakten zu umfangreichen Doping-Forschungsprogrammen in westdeutschen Laboratorien, zusätzliche Informationen über den Umgang mit der Doping-Thematik auf politischer Seite und naheliegende Schlussfolgerungen hinaus liegen jedoch keine Nachweise für gezielte Leistungsmanipulationen bei westdeutschen Aktiven durch verbotene Substanzen vor. Vertreter der größten Bundestags-Parteien reagierten mit der nachdrücklichen Forderung nach Aufklärung.
Die HU zeigt laut SZ, der nach eigenen Angaben eine Version der 800 Seiten umfassenden Studie aus dem vergangenen Jahr vorliegt, dass "im westdeutschen Sport in einem erschreckenden Umfang und mit einer kaum glaublichen Systematik gedopt" worden wäre. Das Blatt sieht die Systematik durch mehrere Details der dreijährigen Studie als erwiesen an.
Demnach zeigten die Berliner Forscher insbesondere auf, dass in mehreren Fällen Anabolika auch Minderjährigen zwischen 11 und 17 Jahren verabreicht worden wäre. Zudem sollen Mitglieder der Bundesregierung vor den Olympischen Spielen 1972 in München zur Verbesserung der Medaillenbilanz Druck auf Sportmediziner ausgeübt haben. Westdeutsche Sport-Dachorganisationen hätten darüber hinaus Doping-Kritiker kalt gestellt sowie auch die Einführung effektiverer Trainingskontrollen auf nationaler Ebene teils mit fadenscheinigen Argumenten zumindest verschleppt und damit die Enttarnung westdeutscher Dopingsünder zu verhindern versucht.
Keine Verbotsliste, keine Verbote
Hinsichtlich der Doping-Forschung, die durch das dem Bundesinnenminsterium unterstellten Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) einsetzend mit dem Beginn der 70er Jahre über einen längeren Zeitraum insgesamt zehn Millionen Mark (rund fünf Millionen Euro) erhalten haben soll, berichtet die SZ über zahlreiche Tests mit Anabolika, Testosteron, Östrogen und auch dem Blutdopingmittel Epo. Wären leistungsfördernde Wirkungen bei den Forschungen festgestellt worden, hätten die Experten den Wirkstoff ungeachtet möglicher Gesundheitsrisiken auch schnell zum Einsatz gebracht. Die Studie weist auch auf den 1200-maligen Einsatz einer nach dem damaligen Ruder-Star Peter-Michael Kolbe benannten Spritze bei deutschen Athleten während der Olympischen Spiele 1976 in Montreal hin, allerdings hätten die benutzten und noch nicht abschließend erforschten Wirkstoffe auch nicht auf der Verbotsliste gestanden.
Die Ergebnisse der 2008 vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) in Auftrag gegebenen und 550.000 Euro teuren Studie "Doping in Deutschland", aus der auch die schon bekannt gewesenen Ephedrin-Vorwürfe gegen drei deutsche Fußball-Nationalspieler aus dem Kader bei der WM 1966 in England stammen, sind immer noch nicht veröffentlicht. Das BISp macht dafür datenschutzrechtliche Probleme verantwortlich. Die beteiligten Wissenschaftler widersprechen dieser Aussage.
Doping mit Steuermitteln
Die neuen Details der 550.000 Euro teuren Studie riefen prompt die Politik auf den Plan. Eine solche Praxis, so der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach in der "Welt am Sonntag", sei "unter keinen Gesichtspunkten zur rechtfertigen oder zu entschuldigen. Wir müssen klären: Ist es richtig, dass mit Wissen des Bundes und unter Einsatz von Steuermitteln systematisches Doping gefördert wurde? Wer hat das auf welche Weise veranlasst? Und wie lange hat diese Praxis gedauert?"
Die SPD-Opposition attackierte derweil den für Sport zuständigen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). "Ich will wissen, was da dran ist. Innenminister Friedrich muss die Studie endlich freigeben. Doping ist kein Kavaliersdelikt, sondern zerstört die Grundwerte des Sports. Mein Eindruck ist, Innenminister Friedrich will die unrühmliche Rolle des Innenministeriums bei der Förderung des Doping vertuschen", sagte Thomas Oppermann als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer.
Bereits am Dienstag war ein Dokument veröffentlicht worden, wonach es Anfang der 70er Jahre auch in Westdeutschland mit Steuermitteln finanzierte Dopingforschung gegeben hat. DOSB-Präsident Thomas Bach hatte sich daraufhin zurückhaltend geäußert: "Ich habe die Studie 2008 initiiert, damit die Doping-Vergangenheit auch im westdeutschen Sport aufgearbeitet wird. Wir werden die Ergebnisse der Studie 'Doping in Deutschland' intensiv analysieren und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen." (sid, 3.8.2013)