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Etwa 7000 Menschen wurden in den vergangenen zwei Jahren in den Foltercamps gequält, schätzen Menschenrechtsorganisationen. Rund 4000 haben es wohl nicht überlebt - in der Wüste auf dem Sinai wurden hunderte Körper gefunden.

Foto: REUTERS/Yonathan Weitzman

Die Bilder stünden frei zur Verfügung, bietet Hotline for Migrant Workers (HMW), eine NGO mit Sitz in Israel, an. Zu sehen sind geschundene Körper, überzogen von Brandblasen und Wunden. Bis zur Unkenntlichkeit geschwollene Gliedmaßen. Klumpen, wo einmal Hände waren. HMW spricht in ihren Berichten von der "Folterkammer Sinai". Als eine von wenigen Organisationen hat sie Belege für grauenhafte Verbrechen, die sich auf der ägyptischen Halbinsel abspielen - nur wenige Autostunden von den Hotelburgen entfernt.

Angefangen habe es 2009, als immer mehr Frauen aus Eritrea in der israelischen Schubhaft um gynäkologische Betreuung und Abtreibungen gebeten haben, schildert Karin Keil von HMW. "Es wurde immer auffälliger, dann wurden gezielte Gespräche geführt." Was zutage kam, ist ein enormes Netzwerk von Menschenhändlern, die mit haarsträubender Gewalt vorgehen.

Familie muss mithören

Mehr als 60.000 Flüchtlinge aus Ostafrika, vor allem aus dem Sudan, Eritrea und Äthiopien, gelangten in den vergangenen fünf Jahren über den Sinai nach Israel. Irgendwann erkannten Nomaden und Beduinenstämme (genannt wird in den Berichten oft der Stamm der Rashaida) das Potenzial der "Ware Mensch". Sie sperren die Flüchtlinge in Lager und foltern sie so lange, bis deren Familien alles verkaufen und das Lösegeld überweisen. Oft über Wochen müssen sie am Telefon mit anhören, wie die Opfer gequält, geschlagen, vergewaltigt werden.

Bis zu 7000 Menschen sollen laut HMW in zwei Jahren die Tortur erlitten haben, geschätzte 4000 haben es nicht überlebt - die Opfer kommen aus den wirtschaftlich schwächsten Regionen der Erde. Bei Summen von 30.000 US-Dollar und mehr, die zum Teil aus der Diaspora kommen, für ein Menschenleben, bedeutet es meist den sicheren Tod für die Flüchtlinge. Hunderte gefolterte Körper wurden in den vergangenen Monaten in der Wüste gefunden.

Wer die Foltercamps überlebt und nach Israel flüchten kann, den erwartet dort die nächste Pein. Mit dem Anti-Infiltration-Law, das in Israel 2012 in Kraft trat, können illegale Einwanderer bis zu drei Jahre und ohne Verfahren eingesperrt werden. Nicht wenige sterben im Anschluss in der Schubhaft.

"Nur diejenigen, die deutlich von Misshandlungen und Hunger gezeichnet sind, dürfen überhaupt über die Grenze", sagt Karin Keil. Wie im Fall des jungen Mannes, der seine Hände während der Monate im Foltercamp verlor. Selbst von Organhandel ist die Rede - es gibt entsprechende Fotos von Leichen.

"Kein politischer Wille"

Amnesty, HMW und andere Organisationen haben hohe Regierungsvertreter, die EU und die UN über die Vorgänge informiert. Passiert sei gar nichts. "Das Thema ist auf allen politischen Ebenen bekannt, es fehlt am politischen Willen. Man stelle sich vor, welchen Aufschrei es kreieren würde, wenn ein Amerikaner oder eine Europäerin gefangen gehalten und gefoltert würde", sagt Keil.

"Als Ägypten 2011 immer weiter ins politische Chaos stürzte, mehrten sich die Berichte über systematische Folterungen durch Beduinen auf dem Sinai", sagt Claire Beston von Amnesty International. Weil Israel seine Einwanderungsgesetze in dieser Zeit verschärfte und den Grenzzaun (siehe Karte) fertigstellte, gingen die Einwanderungszahlen drastisch zurück.

"Weil der Nachschub ausblieb, werden Menschen nun sogar aus bewachten Flüchtlingscamps im Sudan oder direkt von den Straßen Eritreas gekidnappt", erzählt Beston. Laut Amnesty gibt es Belege dafür, dass sudanesische Sicherheitskräfte und Privatleute aus Eritrea in den Handel eingestiegen sind.

Meist werden die Opfer vom Sudan aus über mehrere Zwischenhändler in den Sinai an Beduinenstämme verkauft. Mittlerweile verbreitet sich die Geschäftspraktik auch in anderen Ländern, es gibt Berichte über neue Foltercamps im Sudan und im Jemen, wo Flüchtlinge vom Horn von Afrika hinverkauft werden.

In der Reportage Im Reich des Todes, erschienen im SZ-Magazin 29/2013, berichtet Michael Obert erstmalig aus den Beduinensiedlungen nahe Al-Arish, der Hauptstadt der ägyptischen Provinz Nordsinai, wo die Folterungen stattfinden. "Ausgerechnet radikale Islamisten haben sich dazu entschlossen, gegen die Folterer vorzugehen", schreibt er. Kein Polizist traue sich mehr in die Gegend, die Beduinen haben einen rechtsfreien Raum geschaffen.

Karin Keil hofft, dass mit den strengeren Gesetzen Ägyptens gegen Terrorismus die Gelegenheit wahrgenommen wird, den Praktiken auf dem Sinai den Kampf anzusagen. "Es ist eine einmalige Gelegenheit. Wer den Terrorismus bekämpft, kann die Foltercamps nicht ignorieren." (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 5.8.2013)