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Um Obsorge für Kinder wird vielfach jahrelang gekämpft - auch über Ländergrenzen hinweg. Jährlich eskalieren bis zu 30 Fälle mit Österreich-Bezug.
Wien - Der Fall der sechsjährigen Sofia A., die durch Polizisten von ihrer Mutter, Doris P., weggeholt werden sollte, weil Gerichtsbeschlüsse bestimmen, dass sie zum Vater nach Italien zurück muss, sorgt seit Tagen für Diskussionen. Die Mutter kam 2008 nach Österreich zurück, um dem, wie sie sagt, gewalttätigen Mann zu entkommen. Doch damit hatte sie sich dem in Italien anhängigen Verfahren entzogen – mit dramatischen Folgen.
Seit über einer Woche sind Sofia und ihre Mutter unbekannten Aufenthalts. Auf längere Sicht sei dieses Untertauchen keine Lösung, weiß Astrid Wagner, Anwältin von Doris P. "Frau P. leidet an einer akuten Belastungsreaktion, ist also krank. Daher habe ich mich in ihrem Namen mit dem zuständigen Richter in Wiener Neustadt kurzgeschlossen. Aber sie wird sie sich bald selbst bei ihm rühren müssen", sagt sie.
Schwer belastet durch all das ist natürlich auch Sofia selbst. Laut einem kinderpsychologischen Gutachten aus dem heurigen Juni will die Sechsjährige bei ihrer Mutter bleiben; schon jetzt sei sie traumatisiert. Doch dieser Befund ist, wie die aktuelle Befindlichkeit des Mädchens überhaupt, nicht Gegenstand des Sorgerechtsverfahrens. Dieses rankt sich vielmehr seit Jahren ausschließlich um die Frage der Zuständigkeit – und es gibt bereits Entscheide des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
"Nichts zu machen"
Diese sind eindeutig: Aufgrund multilateraler Abkommen sei die Causa in Italien durchzuführen. Daher sei Österreich verpflichtet, das Kind dem Vater auszuhändigen, heißt es dazu aus dem Büro von Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP): "Inhaltlich können wir gar nichts machen".
Genau das aber wäre dringend angesagt, meint Wagner. Denn ob die Rückkehr zum Vater für Sofia A. das Richtige ist, sei zuletzt vor vier Jahren in Italien geprüft worden: vier Jahre, die das kleine Mädchen bei der Mutter verbracht und in denen sich die "Hassbeziehung" der Frau zum Kindesvater weiter vertieft habe. Ob die Entscheidung von damals auch heute noch das Wohl des Kindes schütze, ist laut der Anwältin höchst fraglich.
Überprüft werden könne das nur in Italien, entgegnet man beim Landesgericht Wiener Neustadt. Außerdem dürfe der Umstand, dass die Kinderrechte in Österreich in Verfassungsrang stehen, nicht dazu führen, Verfahren jahrelang zu verschleppen, steht sinngemäß in einem dortigen Beschluss zur Sache. "Die Situation ist offenbar derart verfahren, dass ein Kinderbeistand eingeschaltet werden müsste", meint dazu eine Sprecherin der Kinderfreunde.
Doch die Beschäftigung von professionellen Helfern ist in den "jährlich 25 bis 30 derart eskalierten binationalen Sorgerechtsstreits" nicht vorgesehen: "Daher schlagen wir seit Jahren vor, eine europaweit zuständige Stelle zu schaffen", sagt die Wiener Kin-der- und Jugendanwältin Monika Pinterits. (Irene Brickner, DER STANDARD, 6.8.2013)