Italien liefert ein geradezu klassisches Beispiel für die Selbstdiskreditierung demokratischer Politik. Es geht nicht nur um das absurde Theater über das Schicksal eines 76-jährigen Kriminellen, dessen Schuld wegen Steuerbetrugs endlich und endgültig durch das Höchstgericht, erstmals rechtskräftig festgestellt wurde. Silvio Berlusconi, der insgesamt neun Jahre regierte und seit 20 Jahren die italienische Politik durch seine Medienmacht und das auch dadurch künstlich erzeugte Charisma mehr als jeder andere Politiker mitgeprägt und vergiftet hat, ließ durch seine Firma 270 Millionen Euro an Steuern hinterziehen und hat laut Gerichtsbeschluss den italienischen Staat auf kriminelle Weise betrogen.
Da Berlusconi sich durch besondere Gesetze und Tricks in siebzehn Strafverfahren aus der Affäre ziehen konnte, galt der Schuldspruch in letzter Instanz fast als eine Sensation. Vier weitere Prozesse laufen noch gegen den Politmilliardär, die in den nächsten Jahren mit weiteren Verurteilungen enden könnten. Statt des von ihm seinerzeit versprochenen liberalen Durchbruchs zu Wirtschaftsreformen ging es ihm stets um den Schutz eigener Interessen vor der Justiz. Mit seinen TV-Sendern und Zeitungen einerseits und mit den enormen Geldmitteln seines Firmengeflechtes andererseits ist es ihm wiederholt gelungen, die zerstrittene Linke und die gelähmten Regierungen in Geiselhaft zu nehmen.
Reale Gefahr für Zukunft des drittgrößten Eurolandes
In jedem anderen Kernland der EU müsste ein solcher als Betrüger entlarvter Politiker von der Bildfläche verschwinden. Dass in Italien das Gegenteil passieren könnte, ist eine reale Gefahr für die Zukunft des drittgrößten Eurolandes inmitten der schwersten Wirtschaftskrise seit fast einem halben Jahrhundert. Italiens Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen zehn Jahren geschrumpft, und die Arbeitslosenquote in zwei Jahren von acht auf zwölf Prozent gestiegen; der Anteil der jugendlichen Arbeitslosen sogar von 27 Prozent auf 39 Prozent. Angesichts einer Staatsverschuldung von 132 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und der Unsicherheit über das Schicksal der von der Berlusconi-Partei abhängigen Regierungskoalition, geführt von dem Mitte-links-Ministerpräsidenten Enrico Letta, könnten die internationalen Ratingagenturen Italiens Kreditwürdigkeit möglicherweise auf Ramschniveau abwerten.
Dass eine Figur wie Berlusconi auch nach dem Urteil von 28 Prozent der Befragten unterstützt wird und dass sogar 41 Prozent der Italiener die Verurteilung für ungerecht halten, wird zu Recht von ausländischen Beobachtern als ein Alarmzeichen betrachtet. Es ist also zu befürchten, dass nach einer sommerbedingten Ruhepause die demokratische Legitimation einer Regierung, die von der Gunst und den Launen eines rechtskräftig verurteilten populistischen Milliardärs abhängt, auch im Ausland bezweifelt wird. Kein Wunder also, dass die Bürger der EU-Kernländer das Vertrauen in die europäischen Institutionen immer mehr verlieren und dass das Überleben des "Berlusconismo" auch an der Peripherie der Eurozone der Demokratieverachtung und der politischen Korruption (etwa in Bulgarien, Rumänien und Ungarn) einen folgenschweren Auftrieb verleihen könnte. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 6.8.2013)