Und das Hirn luftig aufschlägt: Endlich beide Menüs bei Harald Irka in den Saziani Stuben bis zum Bier-Dessert - eine Pracht
Ansichtssache
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Harald Fidler
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Nimm das Hirn! Könnte es sein, dass in dieser Aussage meiner ebenso schönen wie klugen und besonnenen Begleiterin eine kleine Botschaft steckt, womöglich ein Befund über meine geistigen Fähigkeiten? Bis ich diese doch recht fordernde Denksportaufgabe bewältigt habe - nehm ich lieber ein paar Bissen. Zum Beispiel vom Hirn.
Geschäumtes Schweinehirn ist einer der drei Aufstriche, die Harald Irka so aus der Küche schickt, bis es wirklich ernst wird mit einem seiner nun siebengängigen Menüs für noch immer mehr als preiswerte 83 Euro. Und in der Tat ein sehr angenehmer Zeitvertreib.
Endlich hab ich's nach meiner schon ziemlich spannenden, fantasievoll fleischfreien Reader's-Digest-Variante im Herbst 2012 geschafft, die nun noch zwei Menüvarianten komplett durchzugehen. Seither grüble ich noch intensiver darüber, wie Gault Millau drauf kommen kann, dass der baumlange Jungkoch mit den schwarzen Fransen unter der Mütze nur 16 Punkte bekommt. Gut, dass mir Irka dabei mit einer Exptraportion Hirn hilft, aufgeschlagen natürlich.
In dieser Galerie: 24 Bilder
Wenn es Nacht wird über Straden und noch gut über 30 Grad hat - kann der Fidler niemand, der ihm am Herzen liegt, bewegen, sich hineinzusetzen, wo mehr Licht wartet. Ich fürchte mich schon vor Ihrem Foto-Befund.
Frisch, fruchtig, schön: Zum Einstieg Melone, in Rotwein eingelegt, geeist, mit Zitronenzeste, Verbene und Limettensalz erfrischt.
Leinsamenchip mit geräuchtertem Verhackerten, Tomatenmousse und weißem Chili.
Bitterorange mit Hühnerleber, rote Rübe mit Schlehenmarmelade.
Weich und hart zugleich - daran erinnert sich nicht allein die Schöne als erster Höhepunkt: Knackige Germteigpolster, gefüllt mit geräuchertem Frischkäse. Und elastische Maisgeleepolster, halb gefrorene Gnubbel auf Schwarzbrot. Yeah.
Ja, wir haben noch einiges vor: Womöglich stört die Gault-Millau-Tester ja auch der Werkzeugkasten auf dem Tisch. Mich beruhigt so ein Anblick ja ungemein - da kommt noch was.
Zum Beispiel Hirn, aufgeschlagen - intensiv, bestimmt verdammt fett, und doch so luftig.
Schweineschmalz mit Kümmelkrokant.
Und - äh? - gebräunte Butter hab ich mir aufgeschrieben.
So schön kann Essen sein: Ich steige ein in mein "erdiges" Menü und seine "bodenständigen Strukturen" mit der schönsten roten Rübe der Welt: eingelegt, und gefaltet, mit Süßholz, geschmorter Rübe, dazu Senfeis als schlüssige Ergänzung, Rübensaft mit Schwarznessel und Schilcheressig. Wow.
Nicht ganz so schön, aber wunderbar erbsig: Schafmilchjoghurtparfait, junge Erbsen, Joghurtlikör, die selten fehlenden Afilasprossen, spanische Minze, Gartenkresse und Stangensellerie. Ein feiner Zug, dass meine Begleiterin nicht so auf Milchprodukte steht - bekomme ich mehr ab.
Wenn es Abend wird über Straden: Roher Saibling, eine würzige Freude mit Perlzwiebel (in Molke gekocht), grünes Pfefferöl, Röstzwiebelcreme, Zwiebelgelee, Olivensalz und Kümmelschnaps.
Gegenüber: die Gurke. Und das soll beileibe keine Beleidigung sein: gelierter Gurkensaft, Ginger Ale, marinierter Flusskrebs (bleibt mir, danke!), Ribisel, Schildampfer, weißer Mohn und Distelöl.
Das Licht geht, die Gaumenfreude bleibt (und die sprachlichen Gemeinplätze nehmen zu): gedämpfte Lauchherzen, Liebstöckel, Pistaziencreme, geröstete Haselnüsse und - Lauchasche.
Hat mich schon im Herbst begeistert: Pochiertes Ei mit geräuchterter Butter auf einem Bett aus knusprigem Getreide und getrockneter Hühnerhaut, sehr intensiv, sehr Huhn, sehr gut.
Diesmal kam ich nicht herum ums Bries - wäre auch ein schwerer Fehler: gebraten, mit Kamillentee, Raps, Sonnenblumencreme und sautierten Eierschwammerln. Hach!
Welse sind ja bei Dunkelheit am einfachsten zu kriegen, höre ich: Der hier ist knusprig gebraten und kommt mit Sauerampferbutter, sautiertem Frühkraut und Schnittlauchöl.
Au Backe - da fehlt nun echt schon das Licht: geschmorte Kalbswange, Holunderkapern, in Heu gebackene Knollensellerie, Holundermarmelade und - malzig schön - Pumpernickelfond. Meine Freude.
Das mit Rebholz geräucherte Hendl mit - da lächelt die Schöne gleich noch schöner - Hühnerleberpraline, mit Saubohnen, Rosmarinöl, Kapuzinerkresse und mariniertem Apfel behalte ihn Ihnen lieber vor - das liegt aber nur an meinem Foto.
Wir haben auch so noch genügend Suchbilder vor uns.
Zum Beispiel diesen Himbeerschaum zwischendurch mit Balsamico und Schwarzbeeren - für mich überraschend warm.
So schön - wenn dem Fidler nicht gerade das Licht ausgeht: Himbeere als gelierter Schaum, gefrorener Saft, mit Amaranthcreme, kandierten Rosenblättern, Rosenwassertapioka und - Radiccio. Viel, viel schlüssiger als es sich stellenweise liest.
Mais-Eis mit Heidelbeerfond, eingelegte und frische Heidelbeeren, Popcorn und weißer Lavendel in meinem erdigen Menü. Für mich als Dessert-Skeptiker eine helle Freude.
Umso dunkler wird's gegenüber, natürlich rein lichtbildnerisch: Gebrannte weiße Schokolade mit Marillenmark, Marillensorbet und mandeligem Marillenkernfond, Salzmandel und Lavendel. Sehr spannend.
Ein Bierchen zum Dessert: Das Malzbiereis allein schon eine Wucht, Bierkaramell, geröstete Haselnüsse, Rosinen, Nougatcreme - und gebackene Pastinake. Nur ein klitzekleiner, aber ungemein intensiv-säuerlicher Kontrapunkt irritierte mich hier ein bisschen - das war wohl der Schildampfer, erklärt mir der Herr Irka.
Und wenn der nicht alleine für seine Kamillen-Pralinen, jedenfalls aber für Fantasie, Präzision und Schlüssigkeit seiner Arbeit zumindest 17 Punkte bekommt - dann... brauch ich noch ordentlich aufgeschlagenes Hirn, um das zu verstehen. (Harald Fidler, derStandard.at, 13.8.2013)
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