Salzburg - Er wirkt nicht selten wie einer der Protagonisten jener Lieder, die er so unnachahmlich gestaltet: der Welt ein wenig abhandengekommen. Als Liedgestalter - womöglich der größte unserer Tage - ist Christian Gerhaher ein Meister der Melancholie, ein Minnesänger der Verlorenen: Profund und technisch perfekt erzählt Gerhaher bewegende Geschichten.

Auf dem Schumann-Programm standen unter anderem die Sechs Gesänge op. 107 und die Dichterliebe op. 48. Und: Ob Pianissimo in hohen Lagen, durchschlagende Expressivität in der Mittellage oder Machtfülle in der Tiefe - Gerhaher gebietet über seine singuläre Stimme mit Souveränität. Im wunderschönen Monat Mai: Gerhaher berückt im ersten Lied der Dichterliebe mit geradezu heldentenoralem Glanz. Doch schon die leichte Angespanntheit der Stimme, die allen Timbres beraubt zu sein scheint, verrät künftigen Schmerz. Mit der Phrase "Da hab ich ihr gestanden, mein Sehnen und Verlagen" steht auch schon die Verzweiflung im Raum.

Der Gefühlsanalytiker

So könnte man Lied für Lied, Vers für Vers durchgehen und schildern, wie anschaulich hier Emotionen vermittelt werden. Dabei malt Gerhaher mit Liedern keineswegs nur simpel aufeinander folgende Genreszenen. Er dokumentiert mit der Präzision des Analytikers eine psychologische Entwicklungslinie von der Glückserwartung bis zu Enttäuschung, Trotz und Verzweiflung. Gerhaher erzählt tatsächlich auch von einem Kampf an den Grenzen der psychischen Gesundheit: Mit dem Lied Aus alten Märchen ist jeglicher Bezug zur Realität verloren gegangen. Doch zugleich mit dem Tief- wird auch der Wendepunkt erreicht. Im letzten Lied der Dichterliebe versenkt der Ich-Erzähler mit dem überdimensionalen Sarg nicht nur seine Liebe, sondern auch seinen Schmerz.

Das von Pianist Gerold Huber fein gespielte Nachspiel verstärkt den Befund: Dieser Schmerz führt nicht zu Tod oder Wahnsinn, er wird sich vielmehr in neuen Liedern des Dichters niederschlagen.

Im Mozarteum hätte man die sprichwörtliche Nadel fallen hören können - dermaßen fesselnd war der Zugang von Gerhaher und Gerold Huber. Umso lauter dann allerdings der Jubel. (Heidemarie Klabacher, DER STANDARD, 10./11.8.2013)