"Ja, ich will die Chance nutzen", sagt Karl Öllinger. Der renommierte Sozialexperte der Grünen war bei den Vorwahlen in seiner Partei durchgefallen und probiert jetzt, mit einem Vorzugsstimmenwahlkampf doch wieder ins Parlament zu kommen.
Es ist bei der Nationalratswahl am 29. September erstmals möglich, ab einer bestimmten Anzahl von Vorzugsstimmen die Parteilisten zu eigenen Gunsten umzukrempeln. Er sei von vielen in seiner Partei zu einem Wahlkampf ermutigt worden, sagt Öllinger, damit auch weiterhin seine sozialpolitische Positionen und vor allem sein Engagement gegen den Rechtsextremismus im Parlament vertreten sind. Laufen werde sein Wahlkampf in erster Linie über die sozialen Netzwerke.
Aus völlig anderen Motiven will Öllingers Parteikollege Peter Pilz in den Ring steigen. Pilz hat Erfahrung, er hatte schon 1999 einen Vorzugsstimmenwahlkampf geführt. "Ich brauche den Wahlkampf nicht für ein Mandat", sagt Pilz, es gehe ihm um die breite Vermittlung seiner Positionen: Ausstieg aus dem Eurofightervertrag, Stärkung des Parlaments oder gesetzliche Maßnahmen gegen die Steuerflucht.
Wie der grüne Routinier Öllinger wollen ebenso Johann Maier von der SPÖ und auf ÖVP-Seite Franz-Joseph Huainigg über Vorzugsstimmen den Wiedereinzug ins Parlament schaffen.
Johann Maier steckt schon mittendrin im Wahlkampf. Am Salzburger Schrannenmarkt, dem größten Grünmarkt im Westen Österreichs, sucht der hyperaktive Parlamentarier Kontakt zu Wählern. Seine Themen: Konsumentenschutz und Rechtsfragen - zum Beispiel setzt er sich für die Wiedereinführung des Jugendgerichtshofes ein. Maier versucht es über die Landesliste, wo er zehn Prozent der Stimmen für eine Vorreihung benötigen würde.
"Werbung mit Humor"
Franz-Joseph Huainigg, Behindertensprecher der ÖVP, kandidiert auf dem Kampfplatz 12 der Bundesliste. 2008 hätte er 88.876 Vorzugsstimmen für die Sieben-Prozent-Hürde zur Vorreihung gebraucht. Huainigg hält das für machbar. Im Wahlkampf hilft ein Personenkomitee, dem unter anderem Seniorensprecher Andreas Khol angehört. Seine Werbebotschaften erstellt eine Gruppe aus Schülern, die "Werbung mit Humor" machen. An eigenen Wahlkämpfen basteln auch ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath und Jungsozialisten-Chef Wolfgang Moitzi.
SPÖ-Rebellin Sonja Ablinger hätte ebenfalls gute Gründe für eine derartige Kampagne, nachdem sie von ihrer Partei ausgebootet und auf den aussichtslosen dritten Platz der oberösterreichischen Landesliste gesetzt wurde. Ablinger will aber, wie sie im Gespräch mit dem Standard sagt, definitiv keinen Vorzugsstimmenwahlkampf führen. Sie sei von diesem Instrument nicht überzeugt, zumal es erst recht jene bevorzuge, die über Ressourcen verfügen, und Frauen benachteilige. Sie habe überdies den Eindruck, dass eine zu starke Personalisierung letztlich zu einer "Entpolitisierung der Politik führe".
Die steirische SPÖ-Abgeordnete Elisabeth Hakel wiederum hat ihren urpsprünglichen Plan, dank Vorzugsstimmenwahlkampf im Parlament zu bleiben, nachdem sie von ihren Genossen auf einen aussichtslosen Listenplatz gesetzt worden war, wieder fallengelassen. Der Grund: Anfang August haben die roten Parteigremien Hakel doch noch einen wählbaren Platz zugesichert.
"Nur bekannte Politiker"
Die Begeisterung für das neue Vorzugsstimmen-Modell hält sich für Politikwissenschafter Peter Filzmaier und Politikberater Thomas Hofer in überschaubaren Grenzen. Es sei abzusehen gewesen, dass jetzt nicht "das große demokratiepolitische Erdbeben kommt und Nobodys von hinten die Listen aufrollen", sagt Filzmaier. Ins Rennen gingen ja ohnehin wieder nur bekannte Politiker.
"Schauen wir, wer schon bisher in der Vergangenheit am meisten Vorzugsstimmen bekommen hat: ein Erwin Pröll oder ein Josef Pröll. Jetzt werben auch Sebastian Kurz oder Peter Pilz. Das macht doch nicht wirklich einen Sinn", kritisiert Filzmaier. Wenn man schon in Richtung Personalisierung gehen wolle, dann müsste endlich die Tür zu einem wirklichen Persönlichkeitsrecht aufgemacht werden, meint der Politologe: "Da müsste man viel weiter gehen und Regionalwahlkreise einrichten, wo Politiker direkt gewählt werden können und nicht wie jetzt die Stimmen letztlich wieder bei der Partei landen."
Thomas Hofer findet dennoch auch einen positiven Aspekt: Mittelfristig könnten aufmüpfige Politiker, die über Vorzugsstimmen ins Parlament kommen, für ihre Parteien durchaus unangenehm werden. "Wenn sich Politiker über Vorzugsstimmen eine hohe Legitimität der Wähler mit Vorzugsstimmen holen", glaubt der Politikberater, "werden sie natürlich auch unabhängiger". (Walter Müller, Thomas Wultsch, DER STANDARD, 12.8.2013)