Die einzige "Baracke" von Pušča ist das Replikat eines historischen Hauses. Sie erinnert, wie die Steintafel auf dem Bild unten, an die Gründung der Siedlung 1911.

Foto: Standard/Schmidt
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Kinder und Erwachsene bereiteten sich 2011 im Gemeindezentrum (unten) auf die 100-Jahr-Feier ihres Dorfes vor.

Foto: Romano Kher
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Ortschef Ignac Horvat vor dem Gemeindezentrum.

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Murska Sobota – Das Dorf Pušča bei Murska Sobota in Nordslowenien ist nur wenige Kilometer von der österreichischen und von der ungarischen Grenze entfernt. Es gilt heute als größte Romasiedlung Sloweniens. Wer schon andere Romadörfer in Europa besucht hat, kommt mit ganz anderen Bildern im Kopf hierher.

Es ist einer der heißesten Tage dieses Sommers, und obwohl hier über 600 Menschen leben, ist es in den Straßen zwischen den Einfamilienhäusern – viele von ihnen in bunten Farben frisch verputzt, einige im Rohbau – relativ ruhig. Ein Fußballplatz, ein moderner Kindergarten mit bunten Spielgeräten im Garten und eine gepflegte Allee, deren Bäume Ehrengäste von Pušča gesetzt haben, sind das Erste, das man bei der Einfahrt in die Siedlung erblickt. Eine Gemeinde wie jede andere, scheint es.

Jožef-Toni Horvat vom Regionalentwicklungsprojekt Romano Kher, selbst Rom und Gemeinderat in seiner Heimatgemeinde Cankova, führt uns zum neuen Gemeindezen­trum von Pušča, um den Ortschef Ignac Horvat zu treffen. Nein, sie seien nicht verwandt, lacht Jožef-Toni Horvat, hier heißen fast alle Horvat. Er klopft dem väterlichen Freund Ignac Horvat auf die Schulter und sagt: "Nazi ist eine Autorität im Dorf und arbeitet überall mit, obwohl seine Frau sagt, zu Hause schlägt er nicht einmal einen Nagel in die Wand." Nazi?! "Ach so, nein, nicht Nazi", erklärt Jožef-Toni Horvat die gewöhnungsbedürftige Abkürzung von Ignac. Er ist verwundert, dass man das falsch hören kann. "Nahhhci!", wiederholt er, mit einer Reihe von stummen Hs, die er in die Luft zeichnet.

Dann schließt Ignac Horvat das angenehm kühle Gemeindezen­trum, eine Art Mehrzweckhalle mit Büro, auf. Die Wände sind voll mit hunderten Fotos, die dokumentieren, dass hier in den letzten Jahren viel gefeiert wurde: 100 Jahre Pušča, 40 Jahre Kindergarten und schließlich zehn Jahre als eigenständige Ortschaft.

Lückenloses Netz

Denn obwohl sich Pušča als eigene Gemeinschaft fühlte, war man immer Teil anderer Gemeinden, bis man vor etwa zehn Jahren eigenständig wurde. "Seitdem ist das hier das einzige Romadorf Europas", versucht Jožef-Toni Horvat zu erklären, was dieser Schritt in die Selbstständigkeit bedeutet hat. Seit Jahren arbeitet man mit dem EU-subventionierten Romano Kher ("Roma-Haus"), dessen Büro sich wenige Autominuten entfernt in Murska Sobota befindet, intensiv an der Infrastruktur des Dorfes. Die Kanalisation befindet sich in der Ausbauphase zwei, bald ist das Netz lückenlos.

Auf einigen der vielen Fotos an der Wand, auf denen Minister und andere prominente Besucher zu sehen sind, ziehen Gruppen von Uniformierten durch Pušča. "Das war im Vorjahr", sagt Ignac Horvat, "da waren hunderte Polizisten bei uns." Warum? Jožef-Toni Horvat, der im Gegensatz zum Ortschef fließend Deutsch spricht, antwortet: "Sie wollen wissen, warum bei uns keine Scheiße passiert. Das sollen Polizisten hier lernen." Doch was genau das Geheimnis von Pušča ist, warum hier Analphabetismus, Arbeitslosigkeit oder Kriminalität keine bemerkenswerten Themen sind, darauf wissen die zwei Horvats keine spontane Antwort. Es läuft gut. Darauf ist man stolz.

Erfolgsstory Kindergarten

Eine eigene Erfolgsstory ist der Kindergarten von Pušča. Er hat einen so guten Ruf, dass auch Nicht-Roma aus den Nachbargemeinden ihre Kinder herbringen. Ein Drittel der Kinder stamme nicht aus Romafamilien, erzählt Jožef-Toni Horvat. Nachsatz: "Montessori ist einfach gut."

Unweit des dunkelrot verputzen Gemeindezentrums steht eine archaische Baracke aus Lehm und Holz, die dem Klischee der ärmlichen Romasiedlung, das in vielen Ländern erfüllt wird, näherkommt. Doch niemand wohnt hier. Das Häuschen ist ein Replikat des ersten Hauses von Pušča von 1911. Liebevoll rekonstruiert wie für ein Freilichtmuseum.

In Pušča sei noch nicht alles ideal, sagte die slowenische Bürgerbeauftragte für Menschenrechte, Zdenka Čebašek Travnik, bei der 100-Jahr-Feier des "Dorfes der Harmonie", wie Pušča auch genannt wird – aber man könnte es sich zum Vorbild nehmen. (Colette M. Schmidt /DER STANDARD, 13.8.2013)