50.000 Jahre alte Knochensplitter von Werkzeugen, mit denen Neandertaler Tierhäute bearbeitet haben. Noch heute werden solche Geräte produziert und verwendet.

Foto: Abri Peyrony & Pech-de-l'Azé I Projects

Auf diese Weise kamen die Rippenknochen der Hirsche zum Einsatz.

Foto: Abri Peyrony & Pech-de-l'Azé I Projects

Leipzig/Wien - Die Neandertaler gelten gemeinhin nicht als die großen Schlaumeier der Geschichte. Obwohl sie einen größeren Schädel hatten als die Vertreter von Homo sapiens, gilt eine womöglich geringere Intelligenz als ein Grund dafür, dass unsere nächsten Verwandten vor rund 30.000 Jahren in Europa ausstarben.

Wissenschafter vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der niederländischen Universität Leiden entdeckten nun aber in zwei altsteinzeitlichen Ausgrabungsstätten im Südwesten Frankreichs Überreste von Spezialwerkzeugen aus Knochen - die frühesten dieser Art in Europa.

Das Besondere daran: Ganz ähnliche Werkzeuge sind bis heute als sogenannte Lissoirs bei der Ledererzeugung in Verwendung, um damit Leder zu glätten. Marie Soressi, Forscherin von der Universität Leiden und Ko-Autorin des Artikels im Fachblatt "PNAS", fand im Internet einen Anbieter für traditionelles Handwerk, bei dem sie sich die moderne Version solcher Lissoirs besorgte.

Hergestellt hat man das Werkzeug aus den Rippenknochen von Hirschen. Die Knochen werden dazu verwendet, um aus der Tierhaut glatteres, weicheres und widerstandsfähigeres Leder zu erzeugen. Aufgrund der Fundstätte und des genauen Fundorts ist eindeutig, dass diese Werkzeuge vor rund 50.000 Jahren zum Einsatz kamen und von Neandertalern angefertigt wurden, sagt Shannon McPherron, einer der beteiligten MPI-Forscher.

Etliche Fragen rund um den erstaunlichen Fund sind jedoch noch offen: Unklar ist zum einen, wie weit diese Technik unter den Neandertalern damals verbreitet war. Denn noch ist diese Entdeckung beispiellos für einen so alten Fundort.

Zum anderen bleibt die Frage, ob die Neandertaler diese Art von Knochenwerkzeug selbst entwickelt haben. Wenn nein, dann muss der Vorstoß des modernen Menschen nach Südfrankreich vordatiert werden. Wenn ja, dann könnte umgekehrt der Neandertaler dem frühen modernen Menschen diese Technik beigebracht haben. (tasch, DER STANDARD, 13.8.2013)