Startpreisträger Sartori forschte lange in Usbekistan.

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Begonnen hat die abenteuerliche Forschergeschichte mit einem Akt jugendlicher Auflehnung. Um den Wunsch der Eltern nach einem Studium mit soliden Zukunftsaussichten zu sabotieren, inskribierte der junge Paolo eines der schillerndsten Orchideenfächer an der Universität von Venedig: Orientalistik, mit Nebenfach Iranistik.

Eine Wahl, der eine gewisse Intuition zugrunde lag, denn bald entwickelte Paolo Sartori eine unerwartete Leidenschaft für sein Fach. Nach wenigen Jahren beherrschte der gebürtige Italiener nicht nur Persisch und Arabisch, sondern auch Usbekisch und Russisch. Eine nicht allzu weit verbreitete Kombination sprachlicher Fertigkeiten, die den heute 38-Jährigen im Jahr 2000 ins usbekische Samarkand führte, wo er im Auftrag des italienischen Außenministeriums Italienisch unterrichtete.

"Damals bekam ich das Archiv von Khiva, der ehemaligen Hauptstadt des untergegangenen Khanats Khiva an der alten Seidenstraße, erstmals zu Gesicht", erinnert sich Sartori. "Das war für einen Ausländer ein unglaubliches Privileg." Und für die Wissenschaft ein großer Glücksfall. Denn diese weitgehend unberührte Dokumentensammlung in arabischer Schrift wurde für den jungen Orientalisten zum dauerhaften Objekt seiner wissenschaftlichen Begierde. Die Jahre seiner weiterführenden Studien in Rom verbrachte er deshalb großteils in Taschkent, wo er ein umfangreiches Netz von Forschern zur Bergung des vergessenen Archivs knüpfen konnte. "Ich musste mir das Vertrauen der Menschen vor Ort erarbeiten, bevor sie mir einen ihrer größten historischen Schätze für meine Forschung anvertrauten", berichtet Paolo Sartori. "Ohne die Unterstützung der lokalen Behörden und diverser Verantwortlicher hätte ich das Archiv nicht einmal betreten dürfen."

Nach mehreren Zwischenstopps an den Universitäten von Triest, Palermo und Halle hat der Forscher seine Zelte seit zwei Jahren in Wien, am Institut für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, aufgeschlagen. Seinem Lebensthema ist er treu geblieben. Eine Ausdauer, die sich gelohnt hat, denn vor wenigen Wochen wurde Paolo Sartori mit dem Start-Preis des Wissenschaftsministeriums, der höchstdotierten Förderung für Jungforscher in Österreich, ausgezeichnet. Damit ist die finanzielle Basis für sechs Jahre wissenschaftlicher Arbeit an den Archivbeständen von Khiva gelegt.

10.000 Seiten Text zu übersetzen

Mit dem Preisgeld können auch acht hochspezialisierte usbekische Forscher finanziert werden. Über 10.000 Seiten unterschiedlichster Texte in arabischer, persischer und chaghataischer Sprache vor allem aus dem 19. Jahrhundert - von privaten Briefen über Steuerregister bis zu amtlichen Mitteilungen - sollen im Rahmen des Projekts übersetzt sowie ihre Funktion entschlüsselt werden.

Dabei geht es um viel mehr als die bloße Übertragung in eine andere Sprache: "Um die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse dieser Region vor der Eroberung durch russische Truppen im Jahr 1873 zu erforschen, müssen wir die Praxis der Archivierung verstehen", sagt Sartori. "Es gilt also herauszufinden, wie dieses Archiv denkt, warum diese Texte für die Herrscher so wichtig waren." Privat hat der Start-Preis für Sartori eine Auszeit vom akademischen Nomadentum zur Folge: "Für meine Frau, meine kleine Tochter und mich eine große Erleichterung - wir fühlen uns in Wien schon ganz zu Hause."(Doris Griesser, DER STANDARD, 14.8.2013)