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Hassan Rohani bei einer Pressekonferenz am 17. Juni
Der neue iranische Präsident Hassan Rohani, ein moderater Konservativer, ist angelobt und präsentiert dem Parlament seine Regierung, unter anderem den pragmatischen Karrierediplomaten Mohammed Javad Zarif als Außenminister: Eine Hälfte der Kommentatoren in westlichen Medien äußert große Hoffnung auf Veränderungen in den iranischen Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft, während die andere der Meinung ist, dass sich da gar nichts machen lässt – denn Iran, der sei eben so, wie er sei. Wie "so"? Pragmatisch oder ideologisch, nationalistisch oder religiös motiviert, rational oder irrational – alle Einschätzungen wird man zur iranischen Außenpolitik finden. Oder gibt es vielleicht verschiedene iranische Außenpolitiken, je nachdem, wer sie macht? Aber wie und von wem wird Außenpolitik im Iran gemacht, wie funktioniert die Entscheidungsfindung, welche Institutionen sind beteiligt. Und vor allem: Was treibt die Akteure an?
Wer bei diesen Fragen in die Tiefe gehen will, dem sei ein längerer – naja: langer, 30 Seiten – Artikel von Walter Posch ans Herz gelegt, erschienen als SWP-Studie unter dem Titel "Dritte Welt, globaler Islam und Pragmatismus. Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird". Walter Posch ist ein Österreicher, genauer gesagt ein Tiroler, der derzeit an der "Stiftung Wissenschaft und Politik" in Berlin tätig ist. Er hat an der Universität Wien Turkologie studiert (und wir haben gemeinsam usbekisch gelernt….), danach aber sein Doktorat an der Universität Bamberg bei Bert Fragner in Iranistik gemacht, mit einer Dissertation über ein Thema aus der frühen Safawidenzeit (1. Hälfte 16. Jahrhundert). Später hat er sich modernen Themen zugewandt, und heute ist Walter Posch ein international anerkannter Spitzenmann.
Dem Dickicht der iranischen Außenpolitik nähert sich Posch an, indem er zuerst die Akteure und Institutionen – etwa auch das Büro des Revolutionsführers (beyt-e rahbari) – vorstellt, dann die schon oben gestellte Frage "Ideologie oder Pragmatismus" durchleuchtet und schließlich drei Außenpolitikfelder einzeln analysiert, bei denen sich unterschiedliche Ansätze zeigen: die iranische Zentralasien-Politik; der Atomstreit, der vom iranischen "Thirdworldismus" nicht zu trennen ist; und Irans Politik im Nahen Osten.
Ein Ideologienmix
Der einfache Blick auf Teheran wird – und will – immer nur das eine sehen, die "islamische Ideologie", die natürlich in Wahrheit eine sehr komplexe Sache ist, eine Mischung, wie Posch schreibt, "verschiedener politisch-weltanschaulicher Elemente wie Nationalismus, Antikolonialismus und Anti-Imperialismus, adaptierten marxistischen Ideen, politischem Islam und traditionellem Schiismus". Das lässt sich grob in zwei sich eigentlich widersprechende Kategorien einteilen, die sich aber ständig vermischen: revolutionär (politischer Islam in Khomeinischer Prägung und das Dritte-Welt-Denken) und konservativ (Nationalismus, traditionelle Schia). Nicht übersehen darf man auch noch den Anspruch Irans als islamische Führungsmacht – was beim politischen sunnitischen Islamismus, so gerne er sich von der islamischen Revolution 1979 inspirieren ließ, aber gar nicht gut ankommt.
Einschub: Wenn man die tiefe Kluft zwischen Sunniten und Schiiten in der islamischen Welt heute ansieht, fragt man sich, wie der Iran mit der ständigen Zurückweisung der Schia durch die Sunniten fertig wird. Eine Entlastungsstrategie ist natürlich, dass man das Ganze zum westlichen Komplott erklärt. Walter Posch macht aber auch darauf aufmerksam, dass eine in Teheran verbreitete Meinung sei, dass es an mangelnder Information liege: Wenn man das Konzept der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" – das ist das von Khomeini für den Iran erfundene Regierungssystem: der Rechtsgelehrte vertritt den verborgenen Imam bis zu dessen Wiederkehr – nur gut genug erkläre, dann würden es auch viele Sunniten verstehen und akzeptieren.
Kampf für die "Unterdrückten"
Die iranische Verfassung gibt auch den Auftrag, die Rechte aller Muslime und überhaupt aller "Unterdrückten" zu verteidigen – und man weiß gegen wen, denn gleichzeitig sind Bündnisse mit "imperialistischen Mächten" verboten. Dies setzt sich am deutlichsten im Antiamerikanismus und Antizionismus um, der somit konstituierender Bestandteil der Islamischen Republik ist. Es fragt sich nur immer, was das praktisch bedeutet. Für die Umsetzung dieser Maxime bedient sich Iran vor allem einmal der Idee – und der Organisation – der Blockfreien. Sie ist für die revolutionär ausgerichtete iranische Außenpolitik so etwas wie die eigentliche Staatengemeinschaft, Irans "Ersatzweltöffentlichkeit" (Posch), in die sie nach eigener Vorstellung natürlich bestens integriert und hoch angesehen ist. Die Realität ist nicht immer ganz so wunderbar, wie etwa im Jahr 2008, als die Unterstützung für die Kandidatur Teherans zum nicht-ständigen Sicherheitsratsmitglied ausblieb. Auch das Blockfreien-Treffen im August 2012, bei dem Teheran den Vorsitz von Ägypten übernahm, verlief nicht friktionsfrei – vor allem wegen der iranischen Position zu Syrien, wo die Iraner das Assad-Regime unterstützen –, konnte aber dennoch unter dem Strich von Teheran als Erfolg verbucht werden, schreibt Posch.
Seinen eigenen Vorgaben folgend müsste der Iran eigentlich eine "permanent revolutionäre Außenpolitik" machen. Das ist aber eben gerade nicht der Fall, schreibt Posch. Der Wunsch nach einem "grand bargain" mit den USA ist aus einem Dokument abzulesen, das 2003 öffentlich wurde und das eine Zusammenarbeit im Bereich Terrorismus, Transparenz im Atomprogramm, vor allem aber auch eine Anerkennung einer Zweistaatenlösung in Palästina skizzierte. Damals wollte die Bush-Regierung nicht auf das vom Schweizer Botschafter in Teheran übermittelte Papier eingehen. 2008 und 2009, als von den USA Signale des Entgegenkommens kamen, ließ hingegen der Iran eine Chance verstreichen. In beiden Fällen, schreibt Posch, hielt der jeweilige Adressat des Angebots dieses für einen Ausdruck der Schwäche.
Immerhin aber stellte Revolutionsführer Ali Khamenei in einer Rede im März 2009 „das Problem der Beziehungen zu den USA erstmals als politischen Interessengegensatz und nicht als ideologische Feindschaft dar“: eine Enttabuisierung der Frage, ob man die Beziehungen zu den USA normalisieren dürfe oder nicht. Jetzt ist eben die Frage aktuell, ob man diesen Weg mit dem Antritt Rohanis wieder aufnehmen kann und wird. Wenn es den nationalen Interessen dient, dann ist das möglich: Denn auch die Zweckdienlichkeit – maslahat – ist ein Handlungsprinzip iranischer Außenpolitik, das, wie Posch schreibt, erstaunlich weit ausgedehnt werden kann (bis zur Kooperation mit Israel während des Iran-Irak-Kriegs).
"Standhaftigkeit" im Atomstreit
Das größte Hindernis für eine Normalisierung der Beziehungen Irans mit dem Westen ist der Atomstreit. Seine "Standhaftigkeit" in der Nuklearfrage – dass der Iran das Recht auf alle Stufen des nuklearen Zyklus für nicht verhandelbar erklärt – versteht Teheran als einen Kampf, den es im Namen der gesamten Dritten Welt führt. Interessant ist, dass gerade das zu einer iranischen Fehleinschätzung des Vermittlungsversuchs der Türkei und Brasiliens im Jahr 2010 führte, wie Posch schreibt: Diese Länder waren nämlich nicht, wie von Teheran verstanden, einem antiimperialistischen Bruderland zur Hilfe geeilt, sondern sie wollten sich selbst als moderne Akteure und aufstrebende Mächte auf der weltpolitischen Bühne etablieren, indem sie das schaffen, wo die Europäer und andere versagten. Es misslang, heute sind diese Vermittlungsversuche eingeschlafen. Durch die Blockfreien-Erklärung im August 2012 bekam Teheran aber eine Bestätigung für seine Sichtweise, dass ein souveräner Staat das Recht auf seine nukleare Unabhängigkeit habe.
Die große Frage ist, ob der Iran tatsächlich, wie von vielen befürchtet, vorhat, eine strategische Parität mit Israel zu erreichen – das ginge nur, indem sich Teheran Atomwaffen anschafft –, oder ob ihm die "nukleare Fähigkeit" genügt, die Iran quasi zur "virtuellen Atommacht" machen würde. Was es für Israel so haarig macht, ist, dass eine iranische Entscheidung, es bei der "Fähigkeit" zu belassen, jederzeit revidierbar wäre: Darum ist es ja so wichtig, eine verlässliche und umfassende Lösung zu finden (die kein Nullsummenspiel sein kann, wie das die israelischen und amerikanischen Falken wollen). Ein großes Fragezeichen steht auch mit der Zukunft Syriens im Raum. Walter Posch schreibt, dass das Zusammenbrechen der "Widerstandsachse" – der Sturz des Assad-Regimes in Syrien und die damit verbundene Isolierung der libanesischen schiitischen Hisbollah – zu einer Pragmatisierung der iranischen Außenpolitik führen könnte: unter der Voraussetzung, dass Teheran irgendwie in die Transition mit eingebunden ist. Aber momentan sieht es wieder gar nicht nach einem raschen Sturz Assads aus, das kann noch lange dauern – und damit die Entscheidung, wohin der Iran in den Beziehungen zur internationalen Gemeinschaft gehen will, ob er bereit ist "ideologisch Federn zu lassen", wie Posch schreibt, oder nicht. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 15.8.2013)