
In der Seilbahngondel mit nepalesischen Pilgern: Stephanie Sprays und Pacho Velez' Dokumentarfilm "Manakamana", eine Produktion des Sensory Ethnography Lab in Harvard, wird zum spirituellen Reigen.
Die Meisterklassen des Filmfestivals von Locarno folgen in diesem Jahr eng getaktet aufeinander. Da kann es auch vorkommen, dass ein Regisseur mit einem gestandenen Science-Fiction-Experten im ersten Moment gar nichts anfangen kann: "Mr. Douglas Trumbull möchte zu Ihrer Lecture kommen, Mr. Werner Herzog." "Wer?", fragt dieser nach. - "Douglas Trumbull, der Mann, der für Stanley Kubricks 2001 die Spezialeffekte gemacht hat." Der Ausgang? Ungewiss, aber man kann sich nur wünschen, dass durch ein etwaiges Treffen eine Zusammenarbeit initiiert wurde.
Philosophische Zombies
Im Wettbewerb dieser 66. Festivalausgabe machte unterdessen mit Kiyoshi Kurosawa (Pulse, Tokio Sonata) ein Meister des avancierten japanischen Horror- und Genrekinos seine Aufwartung. In seiner neuen Arbeit Real verbindet er die Anordnung eines Melodrams mit Elementen des fantastischen Films: Ein etwas zu anhänglicher Plesiosaurus spielt einen prominenten Part, eine Unzahl "philosophischer Zombies" - so werden im Film Menschen genannt, die wie leere Hüllen, willen- und charakterlos, in unserer Erinnerung umherirren.
"Horror" war bei Kurosawa schon immer mehr ein geistiges Phänomen, das im Sozialen beginnt. In Real wird dies schon durch das narrative Verfahren deutlich: Ein Mann taucht mittels einer "Sensing"-Technologie in das Unterbewusstsein seiner komatösen Frau ein, um sie ins Leben zurückzuholen. Was real, was irreal ist, lässt sich bald nicht mehr unterscheiden - die Welten verschwimmen. Kurosawas Inszenierung bleibt jedoch dezent, weniger auf Effekte, mehr auf erzählerische Verdichtungen konzentriert. Selbst wenn der Film ein paar Runden zu viel dreht, vermag er mit seinen klug gesetzten Irritationen unheimliche Wirkung zu erzielen.
Eine noch viel kargere, minimalistischere Form des Kinos vertritt der Katalane Albert Serra. In Historia de la meva mort (Story of my Death) führt der Regie-Eigenbrötler (Honor de Cavalleria; Els noms de Crist) zwei schillernde Figuren der Kulturgeschichte nonchalant zusammen, um vom Übergang zweier Epochen zu erzählen: Casanova und Dracula. Der gealterte Libertin ist kein Verführer mehr, sondern ein bepuderter Fresssack, der mit seiner Verdauung kämpft. Auf einem Besuch in den Karpaten verliert sich Casanovas Anziehungskraft endgültig im Ungefähren - ein überwuzelter Dracula, der für die dunklen Kräfte des Romantizismus steht, übernimmt das Kommando.
Ästhetisch kehrt Serra mit diesem Film zu seinen Anfängen zurück. In gering auflösenden Digitalbildern kombiniert er die Improvisationen von Amateuren erstmals auch mit geschriebenen Dialogen - eine arme Ästhetik, die dem Genre des Historienfilms überraschend sinnliche Seiten abgewinnt.
Andächtige Passagiere
Simpel, aber filmisch unerschöpflich ist die Idee, die Stephanie Sprays und Pacho Velez' Dokumentarfilm Manakamana bewegt - eine Produktion des Sensory Ethnography Lab in Harvard, das zuletzt etwa den Hochseefischer-Film Leviathan von Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor produziert hat. Gedreht wurde der Film ausschließlich im Inneren von Seilbahnkabinen, die ihre Passagiere zu einem hochgelegenen Hindutempel in Nepal befördern.
Die Fahrtstrecke über dem Dschungel bleibt ungeschnitten, erst im Dunkeln der Windungen wechseln die Passagiere, oft auch mit komischem Effekt. Die Gesichter der Pilgerinnen und Pilger, die wenigen Dialoge wirken wie choreografiert; ein spiritueller Reigen aus ungeduldiger Erwartung, Andächtigkeit oder sogar böser Vorahnung - denn auf die Opfertiere wartet am Ziel ein blutiges Ende. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 16.8.2013)