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Die Reste des Protestcamps nahe der Kairoer Universität. Trotz des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte wollen die Muslimbrüder nicht aufgeben.

Foto: AP / Hussein Tallal

Auch nach 24 Stunden liegt noch beißender Rauch in der Luft. Der Nahda-Platz vor der Kairoer Universität sieht aus wie ein Schlachtfeld. Die ersten Autos bahnen sich mühsam einen Weg zwischen Sandbergen und Müllhaufen, aber nur wenn sie sich vorher einer Kontrolle von Polizei und Armee unterzogen haben. Ihre Einheiten stehen nach wie vor an allen Zugängen des weitläufigen Platzes, der den Anhängern des gestürzten Präsidenten Mohammed Morsi in den vergangenen sechs Wochen neben dem Platz Rabaa al-Adawiya in Nasr City als zweites, zentrumsnahes Protestcamp gedient hatte. "Es lebe die Armee", jubelt eine Gruppe Frauen, als zwei Panzerfahrzeuge mit jungen Soldaten an Bord geräuschvoll vorbeibrausen.

Auch jetzt sind wieder Bulldozer hier, wie vor 24 Stunden, als Armee und Polizei das Lager der Demonstranten mit Gewalt aufgelöst, die Rednerbühne und Dutzende Zelte niedergewalzt haben. Jetzt laden sie Tonnen von Müll auf Lastwägen und tragen die Mauer aus Sandsäcken am eisernen Tor vor der mächtigen Kuppel der Universität ab. Dutzende von privaten Altstoffsammlern wühlen sich durch die Reste des Zeltcamps. Alles, was noch brauchbar ist, wird eingesammelt und weggebracht, Zeltplanen, Holzbalken, Plastikflaschen und sogar Kleider.

Die besten Stücke aber nehmen sich die Chauffeure der Baufirma Arab Contractors, die von der Regierung mit der Säuberung des Platzes beauftragt worden ist. Eine Gruppe ihrer Arbeiter sitzt auf einer Wolldecke im Schatten, dort wo vor Tagen die Anhänger Morsis campiert haben. "Jetzt ist alles fertig, alles wird gut, (Armeechef Abdelfattah) al-Sisi ist unser Held", meint einer von ihnen zufrieden strahlend.

Nur ein Porträt des gestürzten Präsidenten hoch oben an einem Lichtmast und ein großes Transparent mit dem Aufruf "Vereinigt euch zur Verteidigung der Legitimität" haben den Sturm überlebt. Auch eine Demonstrantin hat sich zurückgewagt. Fatima ist von Kopf bis Fuß, das Gesicht inklusive, in ein schwarzes Gewand gehüllt. Sie trägt ein Plakat, auf dem sie die Freilassung des blinden Scheichs Omar Abdel Rahman aus amerikanischer Gefangenschaft verlangt.

Wut auf USA und Israel

Fatima war jeden Tag hier, aber nur tagsüber. Als die Armee einfiel, war sie noch zu Hause in der Nähe der Pyramiden. Die bekennende Salafistin ohne Parteibindung ist wütend. Amerika und Israel sind ihrer Meinung nach für das Blutbad verantwortlich. Ägypten werde brennen, die Islamisten würden die Räumung der Protestlager nicht hinnehmen. "Al-Nahda und Rabaa al-Adawiya sind überall", sagt sie neue Proteste voraus und betont, dass es nicht um die Person von Morsi gehe, sondern um Religion und Islam, die es zu verteidigen gelte.

Ein paar Straßenzüge entfernt öffnet Adel zum ersten Mal nach 37 Tagen wieder seinen Laden für Geschenkartikel. Auch er hat kein gutes Gefühl. Die Geschichte lehre, dass nur ein Rechtsstaat Freiheit und Stabilität garantieren könne, lautet seine nüchterne Analyse. Ägypten sei aber kein Rechtsstaat, sondern eine Militärdiktatur ohne politische Vision.

Die Begründung der Regierung für die Auflösung der Camps lässt er nicht gelten. Die Demonstration auf dem Nahda-Platz hätte kaum gestört, sogar die Universität hätte arbeiten können. Das sei kein Vergleich gewesen mit der Störung durch den über Monate besetzten Tahrir-Platz, wovon wichtige staatliche Institutionen betroffen waren.

Die Revolution im Januar 2011 sei wegen eines Toten, des Bloggers Khaled Said ausgebrochen. Am Mittwoch seien 1000 junge Menschen gestorben. Die Schlüsse aus diesem Vergleich könne jeder selbst ziehen, sagt Adel, der Mitglied der salafistischen al-Waten-Partei ist, die die Demonstrationen für Morsi nicht unterstützt hatte.

Für schlimm, aber notwendig erachten zwei Geschäftsbesitzer auf einem Markt im Stadtteil Dokki die blutigen Ereignisse vom Mittwoch, nicht ohne die Leistung der Armee zu loben. Die beiden haben ihre Rollläden immer noch unten, weil sie dem Frieden nicht trauen. "Die Muslimbrüder haben Geschäfte im Stadtteil Shubra angegriffen und geplündert", begründen sie ihre Vorsicht.

Es folgt eine Hasstirade auf die Islamisten, wie sie in den letzten Wochen oft zu hören war. Sie würden die Religion missbrauchen, ihre Anhänger seien alle dumm und ungebildet. Den Muslimbrüdern sei deshalb die ganze Schuld an den vielen Toten anzulasten.

Um neue Demonstrationen zu verhindern, empfehlen sie, gezielt die Führungskräfte der Islamisten zu verhaften. Auf diese Weise würde die Bewegung zerfallen, meinen die beiden, die sich selbst als Mitglieder der "Sofa-Partei" bezeichnen. Das einzige Mal, dass sie politisch aktiv waren, war bei der großen Anti-Morsi-Demons­tration am 30. Juni auf dem Tahrir-Platz. Damit, finden sie, hätten sie ihre Pflicht getan. Jetzt sei es an Armee und Politik, ein Land ohne Muslimbrüder zu gestalten. Um das Wie kümmern sie sich nicht.

Nur langsam kommt am Tag nach der Gewaltexplosion, die nun auch offiziell über 500 Tote gefordert hat, wieder Leben in die Megacity. Das hängt nicht nur mit der Ausgangssperre zusammen, die bis um sechs Uhr gedauert hat. Die Stimmung schwankt zwischen Schock und Bedauern, aber auch Erleichterung und Hoffnung auf einen neuen Anfang. Die staatlichen Ämter blieben geschlossen, ebenso Banken und die Börse. Auch Unterhaltungsveranstaltungen wurden abgesagt.

Auf den Straßen verfolgt jeder zumindest mit einem Ohr die Nachrichten. Morsi-Anhänger haben ein Regierungsgebäude gestürmt, schon gibt es neue Demonstrationen. Der Kampf, das ist nun allen klar, ist noch nicht vorbei.  (Astrid Frefel aus Kairo /DER STANDARD, 16.8.2013)