Ein Wurm lässt den Hinterleib dieser Ameise rot anschwellen, damit die Insekten von Vögeln mit roten Beeren verwechselt und gefressen werden.

Foto: Steve Yanoviak

Chicago – Es erstaunt immer wieder, welch raffinierte Strategien des Überlebens sich im Laufe der Evolution herausbildeten. So gibt es Pilze, die Ameisen zu Zombies machen, um sich in den gerade noch lebenden Insekten auszubreiten. Eine Wespenart wiederum macht Schaben zu willenlosen Geschöpfen, damit sie dem Wespennachwuchs bei lebendigem Leib als Futter dienen.

Eine besonders fiese Form der Manipulation praktiziert ein Fadenwurm, der in Süd- und Mittelamerika lebt. Wird er von der Ameisenart Cephalotes atratus gefressen, hat das zur Folge, dass sich der Hinterleib der Ameise rot färbt und aufbläht. Das wiederum führt dazu, dass Vögel, die sonst rote Beeren fressen, die infizierten Ameisen verspeisen – zum Vorteil des Fadenwurms. Denn der Wurm überlebt im Vogelkot, der wiederum von den Ameisen an deren Larven verfüttert wird.

Aus "menschlicher" Perspektive sind solche Formen der tödlichen Manipulation alles andere als "moralisch gut". Nun freilich behaupten zwei Biomathematiker im Fachblatt The American Naturalist, dass solche Tricks womöglich den Ursprung für einfache Formen des selbstlosen Verhaltens darstellen.

Mauricio González-Forero und sein Kollege Sergey Gavrilets vom National Institute for Mathematical and Biological Synthesis an der Universität Tennessee nahmen virtuellen Insektenstaaten, in denen ja auch fleißig manipuliert wird, zum Ausgangspunkt ihrer Berechnungen. Im ersten Modell manipulierten die Königinnen einen Teil ihrer Brut so, dass diese Nachkommen steril wurden und im Stock den anderen Teil mitversorgten. Im zweiten Modellstaat hingegen konnten die Nachkommen sich gegen die Manipulation immunisieren.

Das Experiment hatte ein eindeutiges Ergebnis: Während der erste Modellstaat gedieh, ging der andere zugrunde. Das Resümee der Forscher: Manipulation dürfte die Wurzel für altruistisches Verhalten gewesen sein. Dieses habe sich dann im Laufe der Evolution verselbstständigt – was hilfsbereites Verhalten dann doch in einem etwas günstigeren Licht erscheinen lässt. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, 20.8.2013)