Eröffnung der Sommerakademie 1962 auf der Festung Hohensalzburg: der einst verfemte Oskar Kokoschka, dahinter der ehemalige NS-Profiteur Friedrich Welz.

Foto: Galerie Welz

NS-Opfer und -Täter zogen am gleichen Strang, bis 1980 spielte ein ehemaliger "Nazi " eine zentrale Rolle.

Salzburg - In der Nachkriegszeit tuschelte man zwar, dass dieser oder jener ein "schwerer Nazi" oder gar ein "illegaler Nazi" gewesen sei. Aber ein "Nazi" gewesen zu sein: Das war in der Regel nur ein Kavaliersdelikt. Denn es galt, Österreich wieder aufzubauen. Und so arbeiteten, aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar, Opfer und Täter zusammen.

Ein prototypisches Beispiel dafür ist die Salzburger Sommerakademie, die heuer ihr 60-Jahr-Jubiläum feiert. Bundespräsident Heinz Fischer eröffnete; und Hildegund Amanshauser, die im Frühjahr 2009 die Leitung der Akademie übernommen hatte, brachte bei Jung und Jung unter dem Titel Das schönste Atelier der Welt ein facettenreiches Buch heraus. Im Zentrum steht eine kritische Analyse von Martin Fritz, der sich insbesondere mit den Jahren 1964 bis 1980 auseinandersetzt. Denn in jener Zeit wurde die Sommerakademie von Hermann Stuppäck geleitet. Stuppäck war im Dritten Reich Generalkulturreferent des Reichsstatthalters Baldur von Schirach - und damit, so Martin Fritz, "höchster NS-Kulturfunktionär in Österreich".

Ziemlich spannend liest sich aber bereits die Gründungsgeschichte. Ab 1949 korrespondierte der Kunsthändler Friedrich Welz mit Oskar Kokoschka über Möglichkeiten, den Künstler stärker an Salzburg und die Galerie Welz zu binden. Die Biografien der beiden hätten kaum unterschiedlicher sein können: Welz, der mit den NS-Machthabern kollaboriert und in hohem Maße von "Arisierungen" profitiert hatte, war nach der Befreiung zwei Jahre im Entnazifizierungslager Glasenbach interniert. Kokoschka hingegen hatte in der NS-Zeit nach London fliehen müssen. Er war Hitlers "Kunstfeind Nr. 1" und galt als "Entartetster unter den Entarteten": Aus den Museen wurden 417 Gemälde konfisziert.

Doch Welz gelang es, Kokoschka nach Salzburg zu holen: Ab 1953 lehrte der Maler seine Schule des Sehens. Da die Studierenden die Umgebung mit wachen Augen wahrnehmen sollten, ließ er sie ausschließlich mit unkorrigierbaren Aquarellfarben malen. Kokoschkas "Rhetorik der Nachkriegszeit" hätte in der Abstraktion, so Martin Fritz, "ihren Lieblingsfeind" gefunden; sie verband sich "darin stimmig" mit einer Salzburger Kunstszene, in der man noch bis in die 1970er-Jahre hinein "skeptisch gegenüber der Nachkriegsmoderne" blieb.

Reicht dies aber als Erklärung für die Zusammenarbeit von Welz und Kokoschka? Noch verblüffender wird es, wenn man die Liste der frühen Vortragenden studiert: Einerseits Hans Hofmann, dessen Kunst als "entartet" bezeichnet worden war, und Clemens Holzmeister, der 1938 die Akademie der bildenden Künste in Wien zu verlassen hatte. Und andererseits Robert Eigenberger, der auch in der NS-Zeit die Gemäldegalerie der Akademie leitete, und Bruno Grimschitz, den Hitler mit der Leitung der Österreichischen Galerie im Belvedere betraut hatte. Kokoschka höchstpersönlich trat für die Verpflichtung von Grimschitz ein: "Eventuellen amerikanischen Gegenstimmen soll man sagen, dass ich für diesen Menschen volle Garantie leiste." Der Grund war, dass sich Grimschitz geweigert hatte, die Kokoschka-Gemälde zu vernichten: Sie wurden bloß abgehängt und totgeschwiegen.

1963 zog sich Kokoschka mit 77 Jahren zurück. Und Welz installierte Stuppäck. Unter ihm öffnete sich die Sommerakademie zwar dem Abstrakten, wichtige Tendenzen aber (wie Konzeptkunst oder Installation) wurden erst mit sehr viel Verspätung gelehrt: Das Spektrum war "gemäßigt modern, formal konservativ". Stuppäck, dessen Vergangenheit bekannt war, leitete die Akademie unglaubliche 16 Jahre lang: Er profitierte, so Martin Fritz, "von jener gesamtgesellschaftlichen Verleugnung, die das Skandalon der Nachkriegsgeschichte bleibt". Ein "Nazi" gewesen zu sein war eben nur ein Kavaliersdelikt. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 20.8.2013)