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"Blutsparend operieren" ist die Devise, der Chirurgen folgen.

Foto: APA/Helmut Fohringer

Pharmazeutische Betriebe sind Hochsicherheitstrakte, die für Besucher immer eine ganze Reihe von Überraschungen parat halten. So auch Takeda in Linz. Wer hier die Produktion betreten will, muss sich erst einmal in eine Art Michelin-Männchen verwandeln. Overall, werkseigene Schuhe, sogar Socken: Das Umziehen ist aufwändig - aber notwendig, damit weder Schmutz noch Keime in die Produktionsräume gelangen. In der Welt der Reinräume wird Besuchern die eigene potenzielle Verseuchtheit besonders bewusst: Nirosta-Kessel, Computerterminals, dazwischen vereinzelt Mitarbeiter in Reinraummontur. Fotografieren ist hier strengstens verboten, auch Handys sind nicht erlaubt. Schließlich materialisieren sich im Linzer Werk 20 Jahre Entwicklungsarbeit.

Tachosil ist nur eines von einer Reihe von pharmazeutischen Produkten, die Takeda, zwölftgrößter Pharmakonzern der Welt mit Hauptsitz in Japan, in Linz produziert. Was unspektakulär wie ein dünner, gelber Küchenschwamm aussieht, ist ein hochpotentes biologisches Vlies. "Bei großen Operationen an Leber, Milz und Galle sind oft auch große Blutgefäße beeinträchtigt. Ein rasches Stoppen allfälliger Blutungen ist extrem wichtig, um überhaupt weiteroperieren zu können", sagt Andreas Shamiyeh, Leiter der zweiten chirurgischen Abteilung im AKH Linz. Die "Wunderpflaster" aus dem Linzer Takeda-Werk schaffen das, weil sie mit zwei menschlichen Blutgerinnungsstoffen beschichtet sind.

Shamiyeh reißt während einer Operation die goldfarbene Aluverpackung auf und legt das Hightech-Vlies mit der gelben Seite nach unten auf die blutende Stelle. Durch den Kontakt mit der Flüssigkeit entfalten Thrombin und Fibrinogen, zwei zentrale menschliche Gerinnungsfaktoren, ihre Wirkung. "Dadurch wird die Oberfläche des Organs quasi versiegelt", erklärt Shamiyeh. Das Beste daran: Das Vlies kann im Körper verbleiben und wird sich innerhalb kurzer Zeit von selbst auflösen.

Kürzere Operationszeiten

Was Patienten während Operationen das Leben rettet, ist für Chirurgen zudem auch noch wirtschaftlich vorteilhaft. Es hilft beim "blutsparenden Operieren", wie das im Fachjargon heißt. Kürzere Operationszeiten und weniger Blutkonserven pro Patient sind heute wichtige Parameter im Krankenhausmanagement. Im AKH Linz hat eine Untersuchung ergeben, dass der Einsatz von Blutkonserven in den letzten zehn Jahren um 70 Prozent reduziert werden konnte. Tachosil leiste neben besseren Operationsmethoden und -geräten einen Beitrag dazu, sagt Shamiyeh.

Ein Schwamm, der Blutungen stoppt: Das klingt einfach, dahinter steckt aber ein aufwändiger, mehrstufiger Produktionsprozess. "Entscheidend für die Qualität ist, dass der Schwamm immer exakt die gleiche Porengröße hat und die genau gleiche Menge Blutgerinnungsstoff enthält", sagt Dirk Konz, Werksleiter in Linz. Wenn der deutsche Biochemiker erzählt, wie Tachosil gemacht wird, denkt man an Kuchenbacken. Schälen, einweichen, dann mixen - so lange, bis dichter Schaum entsteht - und zum Schluss langsam trocknen: Das sind die wichtigen Arbeitsschritte.

Das Grundmaterial für den Hightech-Schwamm ist Kollagen. "Wir gewinnen es aufgrund der guten Verträglichkeit für Menschen aus Pferdesehnen", erklärt die Tachosil-Produktverantwortliche Dagmar Stimmeder und spricht ein hierzulande eher sensibles Thema an. Kein Pferd würde für Tachosil sein Leben lassen müssen, betont sie. Takeda kauft die tiefgefrorenen Sehnen in Übersee, wo Pferdefleisch auf dem Speiseplan keine Empörung hervorruft. Der große Vorteil gegenüber Kollagen, das aus Rindersehnen gewonnen würde: Es besteht kein BSE-Risiko.

Überdimensionierter Spargel

Die Sehnen von Pferden sehen aus wie überdimensionierte Spargel. Sie sind tiefgefroren und werden von Mitarbeiterinnen in Handschuhen, Haube und Mundschutz geschält. Die so erzeugten Kollagenschnetzel werden dann gequollen. Mithilfe von Milchsäure wird daraus ein Protein-Gel gewonnen, aus dem im nächsten Schritt Schaum erzeugt wird. Daraus werden Blöcke gegossen, langsam getrocknet und schließlich in feine Streifen geschnitten.

Parallel dazu werden die Blutgerinnungsstoffe, womit die Tachosil-Pads beschichtet werden, vorbereitet. "Dass wir Fibrinogen und Thrombin auf das Kollagenvlies aufbringen, ohne dass sie sich dabei miteinander verbinden, ist ein Verfahren, auf das wir stolz sind", sagt Chemiker Konz. Zum Abschluss werden die fertigen, blutstillenden Tachosil-Pads verpackt. Weil langes Erhitzen die blutstillenden Proteine zerstören würde, müssen sie radioaktiv bestrahlt werden, "damit das blutstillende Vlies in den Aluminiumverpackungen hundertprozentig steril ist", erklärt Stimmeder. Als Nachsatz fügt sie hinzu, dass das Hightechprodukt durch dieses Verfahren selbstverständlich nicht verstrahlt ist, wie medizinische Laien das vermuten könnten.

Wenn Andreas Shamiyeh während einer Operation an der Leber ganz selbstverständlich eine Packung Tachosil aufreißt, zählt meist jede Sekunde. Die "ready-to-use"-Anwendung unterscheide Tachosil von den diversen Konkurrenzprodukten am Markt, die mehrheitlich wie Zwei-Phasen-Kleber funktionieren und dadurch im Operationssaal für Chirurgen wesentlich komplizierter in der Anwendung seien. Das Schwamm-drüber-Prinzip hat sich neben dem Einsatz an der Leber auch besonders während Operationen an Darm oder Lunge bewährt. Diese Organe sind beweglich, der blutstillende Schwamm passt sich an und bildet so eine Art beweglichen Verband im Körper.

Permanente Miniaturisierung

Einstweilen treibt Takeda die Produktentwicklung weiter voran. Da Operationen zunehmend laparoskopisch, also in Schlüssellochchirurgie, durchgeführt werden, will man das blutstillende Verbandsmaterial nun auch durch die dünnen Kanülen in den Körper einführen können. "In absehbarer Zeit wird eine vorgerollte Version von Tachosil für die minimalinvasive Chirurgie auf den Markt kommen", kündigt Biochemiker Konz an. Für Operateure, die via Kamera operieren, ist eine effiziente Blutstillung besonders wichtig, weil sie sonst durch die Kamera nichts sehen und deshalb nicht weiteroperieren könnten. Zudem, hat Shamiyeh die Erfahrung gemacht, heilen die mit Tachosil versiegelten Wunden im Gegensatz zu Nähten viel besser, weil Verwachsungen verhindert werden. Und davon, so der Chirurg, profitierten vor allem Patienten. (Karin Pollack, DER STANDARD, INNO, 22.8.2013)