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Bei guter Führung könnte Bradley Manning bereits in achteinhalb Jahren freikommen. Noch vor wenigen Wochen drohte dem Obergefreiten der US-Armee die Todesstrafe.

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Unterstützer von Bradley Manning.

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Bradley Manning steht stramm. Blass und reglos nimmt er auf, was Denise Lind soeben verlesen hat. Der Obergefreite, urteilt die Militärrichterin, muss für 35 Jahre hinter Gitter, wobei ihm die 1294 Tage, die er bereits in der Zelle verbrachte, angerechnet werden. Falls der Weg durch die Instanzen, der Manning als Nächstes offensteht, die Härte des Verdikts nicht noch mildert, wird der schmächtige Soldat mit dem Bubengesicht wohl 56 Jahre alt sein, wenn er das Gefängnis verlassen kann. Es könnte aber auch die Chance bestehen, nach einem Drittel der verbüßten Strafe auf Bewährung freizukommen, das wäre 2021/2022.

Es ist schwer, Emotionen zu lesen in seinem Gesicht. Auch seine Tante Debra van Alstyne, die hinter ihm sitzt, verbirgt hinter stoischer Miene, was sie in dem Moment fühlt. Als Manning den Saal verlässt, eskortiert von Bewachern, die ihn deutlich überragen, versuchen ein paar seiner Anhänger, ihm Mut einzuflößen: "Wir kämpfen weiter für dich, Bradley! Du bist unser Held!"

Vorausgegangen war der Versuch, Lind gnädig zu stimmen - eine resolute Juristin, die einen enormen Ermessensspielraum hat, die nicht dem Urteil einer Geschworenenjury folgen muss. Lind möge eine Strafe gegen Manning verhängen, die dem 25-Jährigen noch erlaube, ein normales Leben zu führen, hatte der Anwalt des Obergefreiten um Milde gebeten. "Berauben Sie ihn nicht seiner Jugend", beschwor David Coombs die blonde Frau in der schwarzen Robe und zeichnete das Bild eines intelligenten, idealistischen, naiven Weltverbesserers, für den die Armee schlicht der falsche Start ins Berufsleben war. Manning ist homosexuell, und in der Machowelt des Militärs war er fehl am Platz. So hatte Coombs zuletzt argumentiert, offensichtlich im Versuch, dem Verfahren die politische Spitze zu nehmen.

Gehänselter Außenseiter

Im Camp Hammer bei Bagdad, wo der Computeranalyst unbeschränkt auf SIPRNet zugreifen konnte - ein Netzwerk, mit dessen Hilfe sowohl die Streitkräfte als auch die Botschaften der USA kommunizierten - hätten zudem Mannings Vorgesetzte eingreifen müssen: Spätestens als der häufig gehänselte Außenseiter in seiner Verzweiflung einen Tisch umschmiss und jedem klar sein musste, dass er seelische Qualen litt. Hätte die Army nicht weggeschaut, so Coombs, wäre Manning gar nicht in der Lage gewesen, Wikileaks über 700.000 Geheimdokumente zuzuspielen.

Vor sechs Monaten, als der Angeklagte im Laufe der Anhörungen eine schriftliche Erklärung verlas, klang es noch deutlich politischer: Da schilderte Manning, wie schockiert er war, als er mitbekam, mit welcher "Lust am Töten" die US-Soldaten 2007 an Bord zweier Apache-Hubschrauber in Bagdad 13 Iraker töteten, unter ihnen einen Reuters-Fotografen.

Vor einer Woche dann, als Lind bereits über das Strafmaß sinnierte, entschuldigte sich Manning, sprach von Reue und Selbstüberschätzung. 15, vielleicht 20 Jahre Haft, tippten Juristen nach dem Kniefall. Dass es nun 35 sind, dröhnt wie ein Paukenschlag, zumal Lind den gravierendsten Anklagepunkt - Hilfe für den Feind - nicht gelten ließ.

"Trauriger Tag für alle Amerikaner"

Kurz nach der Urteilsverkündung sprach die Bürgerrechtsliga ACLU von "einem traurigen Tag für alle Amerikaner". Ben Wizner, einer der ACLU-Direktoren: "Wenn ein Soldat, der der Presse Informationen zuspielte, härter bestraft wird als andere, die Gefangene folterten und Zivilisten töteten, dann stimmt etwas nicht mit unserem Justizsystem."

Bloß keine unangebrachte Milde, so hatten es dagegen die Kläger gesehen. "Es gibt den Wert der Abschreckung", betonte Captain Joe Morrow. Das Gericht müsse jedem Uniformierten, der daran denke, Amerikas nationale Sicherheit zu kompromittieren, eine glasklare Botschaft senden." (Frank Herrmann, DER STANDARD, 22.8.2013)