London - Es ist eine der seltsameren Schafsrassen, die es gibt - was vor allem auch am Ort liegt, an dem sie leben. Ihre Vorfahren wurden vor vielen Jahrhunderten von den Wikingern oder noch früheren Siedlern auf der Insel Soay vor der Westküste Schottlands ausgesetzt, einer der abgelegensten Inseln Großbritanniens.
Fernab von der Zivilisation konnten die Tiere ihren ursprünglichen Typus bewahren - und stellen einen neolithischen Zuchtzustand von Nutzschafen dar. Das bedeutet unter anderem, dass sich Soayschafe wie Wildtiere verhalten und sich durch Hunde nicht dirigieren lassen. Sie sind zudem wildfärbig gezeichnet und werfen ihre Wolle selbstständig ab.
Als 1931 die Nachbarinsel Hirta, die bis dahin einzige, von Menschen bewohnte Insel des St.-Kilda-Archipels, abgesiedelt wurde, gründete man dort eine zweite Population von Soayschafen. Und diese Tiere wurden seitdem immer wieder wissenschaftlich untersucht, zumal die wilden Paarhufer einige Rätsel aufgeben.
Eines davon betrifft ihre Hörner: Die meisten weiblichen und männlichen Schafe sind behornt. Es existieren aber auch weibliche Tiere und Widder mit kleinen Hörnern. Nach strengen evolutionsbiologischen Gesetzen dürfte es das aber nicht geben. Denn Merkmale, die weiblichen Tieren bei der sexuellen Selektion helfen - wie etwa die Federn von Pfauen oder eben die Hörner von Huftieren - weisen im Normalfall keine große Variation auf, weil sich die Weibchen für die attraktivsten Männchen entscheiden.
Zwei Gen-Versionen mit Vorteilen
Wie also ist es möglich, dass es immer noch kaum behornte männliche Tiere gibt? Diese Frage hat nun ein internationales Forscherteam um Susan Johnston (Universität Edinburgh) beantwortet. Ausgangspunkt für die Lösung, die im Fachmagazin "Nature" erschien, ist ein kürzlich entdecktes Gen namens RXFP2, das an der Horngröße beteiligt ist. Johnson und Kollegen fanden nun bei Soayschafen eine Variation dieses Gens namens Ho+, das längere Hörner und höheren reproduktiven Erfolg bringt. Eine Variation namens HoP bringt kürzere Hörner aber größere Lebensdauer.
Besitzen männliche Tiere beide Varianten, verfügen sie über beide Vorteile - aber auf leicht reduziertem Niveau. Damit sind Soayschafe ein seltenes Beispiel dafür, wie der Besitz von zwei Versionen eines Gens vorteilhaft sein kann. Was wiederum die unterschiedliche Hornlänge erklärt. (tasch, DER STANDARD, 22.8.2013)