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Die Diskussion über den G-Punkt gleicht ein wenig dem berühmten Gänseblümchen-Spiel.

1950: Der deutsche Arzt Ernst Gräfenberg wird fündig. In einer im "International Journal of Sexology" veröffentlichten Arbeit beschreibt er eine "erogene Zone in der vorderen Vaginalwand, entlang der Harnröhre, die bei sexueller Stimulation anschwillt". Zum G-Spot beziehungsweise G-Punkt wurde das sagenumwobene Areal allerdings erst Anfang der 80er Jahre durch die US-amerikanischen Sexualforscher John D. Perry und Beverly Whipple.

2001: Es gibt ihn nicht: Der amerikanische Psychologe Terence M. Hines hält den G-Punkt für einen Mythos.

2008: Es gibt ihn doch: Der italienische Mediziner Emmanuele Jannini von der Universität in L'Aquila will den G-Punkt bei neun Probandinnen mittels Ultraschall dingfest gemacht haben.

2010: Es gibt ihn nicht: Britische Wissenschaftler vom Londoner King's College kommen nach der Untersuchung und Befragung von 902 Zwillingspaaren zu dem Ergebnis, dass es keinen Beweis für die Existenz des G-Punktes gibt. Sie halten das Lustzentrum für eine Erfindung der Sexualtherapeuten.

2010: Und es gibt ihn doch: Der französische Gynäkologe Sylvain Mimoun widerspricht den Briten vehement: "Der G-Punkt ist keine Frage der Vererbung, sondern der Verwendung." Im Klartext bedeutet das: Immerhin 60 Prozent aller Frauen sind zwar im Besitz dieser hochsensiblen Region, nicht jede davon weiß jedoch von ihrer Existenz. Denn nie stimuliert, fühlt es sich eben so an, als würde es den berühmten Punkt gar nicht geben.

2012: Es gibt ihn eventuell: Der amerikanische Gynäkologe Adam Ostrzenski entdeckt den vermeintlichen G-Punkt bei der Obduktion einer 83-jährigen Frau. Eine histologische Untersuchung des Gewebes dazu gibt es allerdings nicht.

"Histologisch ist bis dato keine entsprechende Struktur nachgewiesen worden", bestätigt auch Elia Bragagna. Die Wiener Sexualmedizinerin schließt jedoch eine Existenz dieser Region nicht aus, die wie von Gräfenberg beschrieben in der vorderen Wand der Vagina lokalisiert sein soll und an die Strukturen um die Harnröhre (periurethrales Gewebe, Anm.) anschließt: "Diese Strukturen sind dafür bekannt, dass sie einen wichtigen Beitrag für das sexuelle Empfinden darstellen."

G-Punkt oder weibliche Prostata?

Was wenige wissen: Auch die Frau besitzt eine Prostata, und die ist - so die Annahme mancher Sexualmediziner - das, was den G-Punkt eigentlich ausmacht.

Der Wiener Urologe Florian Wimpissinger hat sich mit der weiblichen Prostata näher beschäftigt. Er differenziert hier genauer: "Die weibliche Prostata sind paraurethrale Drüsen. Diese können zwar auch in dem vermeintlichen G-Areal lokalisiert sein, jedoch ist eine Drüse kein erogenes Gewebe, da sie keine sensiblen Nerven besitzt wie ein Schwellkörper oder die Schleimhautoberfläche."

Embryologisch beginnt die Entwicklung der Prostata bei Mann und Frau völlig gleich. Allerdings fehlen der Frau in weiterer Folge die notwendigen Androgene zur Bildung eines Drüsenkörpers. Die weibliche Prostata ist daher nur rudimentär angelegt. Ganz funktionslos ist sie aber nicht. "Man vermutet, dass das produzierte Sekret eine Bedeutung in der Infektionsabwehr besitzt", sagt Wimpissinger. 

Phänomen der weiblichen Ejakulation

Dazu zeigt sich die weibliche Vorsteherdrüse für das Phänomen der weiblichen Ejakulation verantwortlich. Dass es sich dabei tatsächlich um das Pendant zum männlichen Ejakluat handelt und nicht um Harn, der infolge einer Belastungsinkontinenz abgegeben wird, konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden. Wimpissinger publizierte zu dem Thema 2007 im "Journal of Sexual Medicine" (Vol. 4, p 1388). Er beschreibt den Fall zweier Patientinnen, die sich aufgrund massiver Ejakulationen während des Orgasmus an den Mediziner gewandt hatten. Eine Analyse des Ejakulats zeigte unter anderem eine hohe Konzentration von PSA (Prostata-spezifisches Antigen).

Jede Frau besitzt also eine Prostata, nicht jede davon ist jedoch zur Ejakulation imstande. "Das hat unter anderem damit zu tun, dass diese paraurethralen Drüsen ganz unterschiedlich ausgebildet sind", sagt Wimpissinger. Unklar ist auch, ob bei entsprechender Lokalisation das Ejakulat eventuell zurück in die Blase gelangt und die Frau davon schlicht und einfach gar nichts bemerkt.

Aktuell beschäftigt sich Wimpissinger mit einer Detailfrage zu diesem Thema: "Wir wollen diese Drüsen in der Erregungsphase darstellen, weil immer noch nicht klar ist, warum dieser relativ kleine Drüsenkörper während des Orgasmus zur Produktion mehrerer Milliliter Flüssigkeit imstande ist."

Reizempfindlicher A-Punkt

Im Jahr 2003 hat der G-Punkt übrigens Konkurrenz bekommen. Der malaysische Gynäkologe Chua Chee Ann stellte damals den A-Punkt (Anterior Fornix Erogenous Zone) auf dem Asian Congress of Sexology vor. Der Punkt ist angeblich noch reizempfindlicher als der G-Punkt und befindet sich ebenfalls in der Scheidenvorderwand. Laut Chua Che Ann reagiert ein Drittel aller Frauen bei Stimulation des A-Punktes mit multiplen Orgasmen.

"Multiple Orgasmen kann man auch ohne A-Punkt erreichen, es braucht die passende Stimulation. Frau muss sich selbst gut kennen und in der Lage sein, sich hinzugeben und fallenzulassen. Und das ist wesentlich schwerer zu finden als der A- oder G-Punkt", bringt es Bragagna auf den Punkt. Dass eine isolierte Stimulation dieser Punkte ohnehin nicht möglich ist, weiß auch Wimpissinger. "Jede Stimulation dieser Region führt auch zu einer Stimulation des klitoralen Schwellkörperkomplexes und des Gewebes zwischen Vagina und Symphyse inklusive Harnröhre", so der Urologe. (Regina Walter, derStandard.at, 28.8.2013)