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Schizophrenie-Kranke sind oft überdurchschnittlich intelligent - so auch das Mathematik-Genie John Forbes Nash, verkörpert von Russell Crowe im Hollywood-Drama "A Beautiful Mind".
Obwohl rund ein Prozent der Österreicher, also etwa 80.000 Menschen, von Krankheiten aus dem schizophrenen Formenkreis betroffen sind, gibt es kaum Selbsthilfegruppen. "Man braucht sehr viel Stabilität, gut eingestellte Medikamente und lange Krankheitserfahrung, damit man es überhaupt in eine Gruppe schafft", sagt die Heilpädagogin und Gruppenleiterin Carmen Chloupek, die seit Jänner die Selbsthilfegruppe von Pro Mente Wien leitet. "Die Krankheit ist sehr stark mit Angst verbunden."
Teilnehmer bunt gemischt
Aus diesem Grund war es auch nicht möglich, unmittelbar von einem Gruppentreffen zu berichten - die Betroffenen wollen laut Chloupek auf keinen Fall vorgeführt oder eingestuft werden. Allein der wöchentliche Gruppenbesuch kostet die Teilnehmer schon Überwindung, die zusätzliche Belastung durch einen fremden Besucher wäre zu hoch.
Zehn Männer und zwei Frauen kommen jeden Donnerstagabend in den Räumen von Pro Mente in Wien-Wieden zusammen. Der jüngste Teilnehmer ist 27, die älteste 70 Jahre alt. Aber es sind immer wieder die gleichen Probleme, von denen die Betroffenen erzählen: Geld, Alltagssorgen und Fragestellungen des täglichen Lebens, vor allem aber zwischenmenschliche Probleme, Konflikte und Ängste.
Einen strikten Ablauf gibt es nicht. Nach der Begrüßung gibt es eine "Blitzlichtrunde", in der jeder kurz erzählt, wie die letzte Woche für ihn oder sie war. "Da merkt man meistens eh schon, wem es unter den Nägeln brennt, wer über etwas reden möchte", sagt Chloupek. Je nach Redebedarf wird dann die Zeit - anderthalb Stunden - so eingeteilt, dass alle zu Wort kommen. Themenvorgabe gibt es keine - jeder kann über alles reden, das ihm am Herzen liegt. Ganz am Schluss schließlich sagt jeder, wie es ihm aktuell geht und was er sich für die nächste Woche wünscht.
Regelmäßiger Austausch
Dass Betroffene auch in schwierigen Phasen kommen, zeigt, wie wichtig der regelmäßige Austausch für sie ist - auch wenn er oft schwer fällt. Ängste, nicht angenommen zu werden, anderen zur Last zu fallen oder etwas falsch zu machen, sind ständige Begleiter. Viele ziehen sich deshalb in die eigenen vier Wände und noch tiefer in ihre Gedankenwelt zurück. Das verstärkt den Teufelskreis oft nur, denn Menschen mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis sind ohnehin sehr in sich gekehrt und haben Schwierigkeiten, Innen- und Außenwelt auseinanderzuhalten.
Ein Teilnehmer etwa erzähle immer, dass seine größte Angst die U-Bahn-Fahrt zur Selbsthilfegruppe sei. Oft passiere es, dass ihm die anderen Leute aus dem Weg gehen, weil er Selbstgespräche führt. "Als Außenstehender kann man sich gar nicht vorstellen, was die Leute für einen Hürdenlauf auf sich nehmen, damit sie es überhaupt erst hierher schaffen", erklärt Chloupek. Einer geregelten Arbeit nachzugehen oder soziale Kontakte zu pflegen sei für die meisten ein Ding der Unmöglichkeit.
Gruppe kaum nachgefragt
"Die Gruppe ist bei uns nur ein kleiner Satellit im Angebot - wir richten uns natürlich auch nach dem Bedarf", sagt Bründler. Wenn nötig, würde pro mente noch eine zweite Gruppe eröffnen, doch bis jetzt werde die jetzige auch schon kaum nachgefragt. "Viele kommen mit dem Druck nicht klar. Wenn ich als Betroffener weiß, ich muss da jetzt in zwei Tagen hingehen und dort vielleicht auch noch etwas leisten, dann geht gar nichts", erklärt Chloupek.
Überhaupt sind die Betroffenen häufig überfordert: Sie nehmen ständig und gleichzeitig einen Überfluss an Reizen (Sinneseindrücke, Geräusche, Personen) wahr, mit denen sie nicht immer umgehen können. Es fällt schwer, zu filtern, was hier und jetzt in diesem Augenblick wichtig ist. Sie werden ständig von schlechtem Gewissen und Minderwertigkeitskomplexen geplagt, haben Angst vor jeder Art von Veränderung. "Allein schon der Gedanke an eine neue Wohnung, ein neues Zuhause wäre der größte vorstellbare Horror", sagt Chloupek.
Keine eindeutige Ursache
Wie genau die Krankheit entsteht, ist noch unbekannt - sicher ist aber, dass es eine Kombination aus physischen und psychischen sowie sozialen und biologischen Ursachen ist. Meist beginnt die Schizophrenie im späten Jugendalter und ohne erkennbare Ursache, manchmal führen aber auch Schicksalsschläge dazu. Bei einem jungen Mann aus der Gruppe etwa begann sie mit einem Autounfall, bei einer ehemaligen Bankangestellten wiederum ohne bestimmten Auslöser und erst mit Mitte 40.
Fast immer jedenfalls sind es mehrere Faktoren, die zusammen spielen. Ausgelöst werden kann der Ausbruch - bei bestehender psychischer und physischer Vorbelastung - etwa auch durch den Konsum von Drogen wie etwa Cannabis. Doch egal, wie die Krankheit entstanden ist - nachdem sie ausgebrochen ist, ist nichts mehr so wie zuvor.
Geld und Gesellschaft, aber kaum Medizinisches
Weil sich viele Betroffene kaum aus ihren eigenen vier Wänden trauen und nicht (mehr) erwerbstätig sein können, ist sehr oft Geld ein Thema. Wie lerne ich, mit meinem Einkommen auszukommen? Wie kann ich mich kostengünstig ernähren? Was mache ich, wenn es einmal nicht reicht? "Man muss sehr früh lernen, mit möglichst wenig Geld möglichst viel Lebensqualität zu haben", sagt Gruppenleiterin Chloupek.
Ein anderes großes Thema ist Gesellschaft. Obwohl - oder gerade weil - sie größtenteils isoliert leben, ist es den Betroffenen ein Anliegen, dass ihre Erkrankung nicht pauschal abgestempelt wird, sondern als Krankheit wie jede andere - mit vielerlei verschiedenen Ausprägungen - wahrgenommen wird. Sie verwehren sich gegen die Darstellungen in Krimiserien wie "CSI" und manchen Boulevardzeitungen, wo Menschen mit schizophrenen Erkrankungen als geisteskranke Mörder dargestellt werden. "Erkrankte fragen sich: Wie werde ich wahrgenommen mit dieser Erkrankung? Ich kann für die Gesellschaft nicht leisten, was erwartet wird. Im Gegenteil, sie muss mir etwas geben. Das macht oft Angst, auch Zukunftsangst", so Chloupek.
Auffällig ist, dass es in der Gruppe weniger um Medizinisches geht. Laut Chloupek sind die Medikamente so lebensbestimmend für die meisten, dass sie nicht darüber reden wollen. "Ab und zu gibt es Austausch über Einschlaf- und Durchschlafprobleme, aber alles andere Medizinische wird ohnehin beim behandelnden Facharzt besprochen. Die Leute sind echt froh, wenn sie über andere Dinge reden können", so die Gruppenleiterin.
Keine Endstation
Die Selbsthilfegruppe der Pro Mente Wien besteht mittlerweile seit zehn Jahren. "Die Gruppe ist keine Endstation, sondern ein Baustein, ein Puzzleteil für die Lebensqualität", sagt Bründler. Willkommen ist jeder, die Teilnahme an den Treffen ist unbürokratisch, kostenlos und ohne Voraussetzungen möglich. Wichtig ist nur, dass die Betroffenen bereits in medizinischer Behandlung und einigermaßen gefestigt sind.
Das Ziel der Selbsthilfegruppe? "Wir wollen, dass sich die Leute wieder aus ihrem Nest heraustrauen", sagt Chloupek. Ist ein Teilnehmer erst einmal so weit, jede Woche und vielleicht sogar gern in die Gruppe zu kommen, bedeute das schon einen riesigen Schritt.
So verschieden alle Menschen mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis, ihre Hintergründe und Lebensgeschichten auch sind, geeint werden sie laut Chloupek von einem Wunsch: "Einfach nur so sein können, wie wir wollen und wie wir sind." (Florian Bayer, derStandard.at, 30.8.2013)